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Ilka Schröder

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Drogenpolitik | Denkpause 10 | 11.12.00

Drogen als Legitimation für mehr Polizeikooperation

Schnee von morgen

Die Europäische Drogenpolitik befindet sich am Scheideweg zwischen den Prinzipien Schadensminimierung und Abstinenz. Während die Gesundheitspolitiker langsam einsehen, dass polizeiliche Maßnahmen gegen Drogenkonsum nichts fruchten, schaffen die Apologeten des Kontrollstaates neue Fakten.

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15 Millionen Cannabis-Konsumenten gibt es in Europa nach einer vorsichtigen Schätzung im Jahresbericht der »Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD)«. Bis zu sechs Prozent der EU-Bevölkerung sind demnach Ecstasy, Kokain, Heroin und Amphetamin zugetan: Alles zusammen eine KonsumentInnen-Bevölkerung von 35 Millionen. Nur ungefähr eine Million davon bezeichnet der EBDD-Bericht als »abhängig«. Daraus ergeben sich zwei Fragen, die mitten in die europäische Drogenpolitik führen. Warum erwähnt der EBDD-Bericht legale Drogen wie Alkohol und Nikotin nicht? Und wenn es nur eine Million Abhängige Konsumenten illegaler Drogen gibt, bedeutet das, dass die große Mehrheit ihren Konsum im Griff hat und somit polizeiliche Verfolgung völlig unabgebracht ist?

Grundsatz europäischer Drogenpolitik ist die Einteilung von Substanzen in legale und illegale Drogen. Die legalen Drogen wie Alkohol und Tabak finden erst in jüngster Zeit gesundheitspolitische Aufmerksamkeit, wie sie sich zum Beispiel im Tabak-Werbeverbot ausdrückte. Das allerdings hat der Europäische Gerichtshof vorläufig aufgehoben. Illegale Drogen erfreuen sich dagegen seit langem einer großen Beachtung, die vor allem strafrechtlicher Natur ist. Offizieller Ausgangspunkt der Drogen-Einteilung ist das angeblich unterschiedliche medizinische Gefährungspotential. Bei legalen Drogen, so heißt es, sei im Gegensatz zu illegalen Drogen ein kontrollierter Konsum möglich. Illegale Drogen hingegen hätten ein so großes Suchtpotential, dass der Schutz der Bevölkerung nur durch ein grundsätzliches Verbot garantiert werden könne.

Mit diesem Argument wird das europaweite Drogenverbot begründet. Seit Jahrzehnten häufen sich aber medizinische Studien, die diese Unterscheidung widerlegen. Zuletzt war das der Fall, als die französische Regierung 1998 den so genannten Roques-Report veröffentlichte. Die Untersuchung stufte das psychische Suchtpotential von Heroin, Tabak und Alkohol jeweils als »sehr stark« ein, das von Cannabis dagegen als »schwach«.

140.000 Nikotin- und 40.000 Alkoholtote sind allein in Deutschland pro Jahr zu beklagen, im Vergleich zu 1.800 so genannten Drogentoten. In Berichten wie dem der EBDD werden dennoch nur die Opfer illegaler Drogen genannt. Der einzige Grund: Die politische Einteilung in legale und illegale Drogen würde sonst in Frage gestellt.

Zwar existiert in allen EU-Staaten eine identische Einteilung in legale und illegale Drogen, doch die strafrechtliche Praxis unterscheidet sich stark. Die Ursache liegt in den sehr heterogenen nationalen Drogenpolitiken, mit den beiden Gegensätzen Schweden und Niederlande. Während in Schweden die drogenfreie Gesellschaft ein nationales Projekt ersten Ranges ist, können in den Niederlanden geringe Mengen von Cannabis oder psychoaktiven Pilzen straffrei erworben werden. Die anderen EU-Staaten liegen zwischen diesen beiden Polen.

Die Politik Schwedens und der Niederlande steht für zwei unterschiedliche Prinzipien: Abstinenz und Schadensminimierung. An dem Widerstreit zwischen diesen beiden Punkten entzünden sich die Konflikte in den europäischen Institutionen. Je nach vorgeschlagener Maßnahme kommt es in der Regel zu sehr langen Kompromiss-Verhandlungen. Abstinenz-orientierte Politik setzt vor allem auf Angebotsreduzierung, deren wichtigstes Werkzeug die polizeiliche Verfolgung des Drogenhandels ist. Nachfragereduzierung, also Prävention im Sinne von Schutz vor Sucht, konnte sich nur allmählich etablieren. Erst seit mit dem drastischen Anstieg der Drogentoten zu Beginn der neunziger Jahre deutlich wurde, dass polizeiliche Maßnahmen versagt haben, wird Prävention politisch stärker berücksichtigt. Trotzdem bekommen Präventionsmaßnahmen nur den Bruchteil der finanziellen Aufwendungen, die in den Repressionsapparat investiert werden.

Gerade die europäische Drogenpolitik legt den finanziellen Schwerpunkt auf polizeiliche Zusammenarbeit. Zunehmend wird die Reduzierung des Drogenangebots zur Gemeinschaftsaufgabe erklärt. Entsprechend dominieren in den Drogen-Aktionsplänen und Europol-Arbeitsprogrammen Forderungen und Ziele wie Ausbau von Europol, Bekämpfung der Geldwäsche, stärkere Grenzkontrollen, Überwachung von chemischen Grundstoffen, Errichtung von europaweiten Fahndungsdateien, digitale Vernetzung der nationalen Rauschgiftabteilungen und verstärkte Kooperation mit anderen internationalen Organisationen wie Interpol oder UNDCP (United Nations Drug Control Programme). Im neuesten Drogen-Aktionsplan 2000-2004 wird die Prävention stärker betont, an der operativen Ausstattung ändert sich jedoch wenig.

Schadensminimierung setzt pragmatischer an und versucht die Risiken des Drogenkonsums zu reduzieren. Polizeiliche Maßnahmen sind dafür nicht notwendig, zentral ist akzeptierende Prävention, die sich nicht auf Nachfragereduzierung bezieht. Zu den Maßnahmen gehören z.B. Heroinverschreibung, Substitution, Gesundheitsräume, Spritzentausch, Safer-Use-Regeln und Drogentests für Ecstasy. Im Europäischen Parlament produzieren diese unterschiedlichen Prinzipien große Konflikte. So 1998 als die Angleichung der Rechtsvorschriften zur »Drogenbekämpfung« diskutiert wurde. Während schwedische und französische Deputierte für mehr Repression plädierten, forderten niederländische Abgeordnete eine Teillegalisierung von Cannabis. Letztendlich einigte man sich darauf, den synthetischen Drogen eine größere Aufmerksamkeit zu widmen. Die EBDD gründete daraufhin eine Einheit für synthetische Drogen. Noch ein Jahr später, 1999, war diese Einheit weder in der Lage, die Anzahl der Toten, noch der Abhängigen für synthetische Drogen zu benennen.

Wenig Beachtung findet in der Regel der Abbau von BürgerInnenrechten durch abstinenz-orientierte Drogenpolitik. Ziel ist dabei, die Zugriffsmöglichkeiten des Staats auf die BürgerInnen zu erhöhen. So wurden Bedrohungskonstrukte vom »dealenden Asylanten«, von »Organisierter Kriminalität« und »Drogenwellen« gezielt zur Einführung von großem und kleinem Lauschangriff, von verdeckten Ermittlern und der Europäischen Drogeneinheit - der Keimzelle von Europol - verwendet.

Die fehlende demokratische Kontrolle von Verfolgungsbehörden wie Europol wird dabei nicht nur billigend in Kauf genommen, sie darf als das eigentliche Ziel polizei-basierter Drogenpolitik gelten. Inzwischen wird auch auf europäischer Ebene die so genannte Beweislastumkehr diskutiert: Ein Beschuldigter, der unter Verdacht steht, Vermögen aus Drogenhandel zu besitzen, muss erst dass Gegenteil beweisen, sonst wird das Vermögen eingezogen. Elementare Bestandteile so gut wie aller europäischen Rechtsordnungen wie der Grundsatz »In dubio pro reo« werden dabei mit einem Federstrich beseitigt.

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Zum Weiterlesen:

Parlamentarische Anfrage
Als ich am 18.11.1999 in der Debatte um den »Drogenaktionsplan 2000-2004« auf die Bedeutung von Schadensminimierung verwies, entgegnete die Kommission, es sei noch »unklar«, was dieser Begriff konkret bedeute. Diese Unklarheit hat sich spätestens mit dem EBDD-Jahresbericht 2000 geklärt. Hier wird Schadensminimierung und Prävention zu den wichtigsten Elementen der Drogenpolitik erklärt. Nach den Niederlanden setzt nun auch Deutschland auf »Schadensminimierung« als zentralen Pfeiler der Drogenpolitik, wie die Drogen-Beauftrage der Bundesregierung Christa Nickels in einer Grundsatzrede im Oktober 2000 mitteilte.

Europäische Drogenbeobachtungsstelle (EBDD)
www.emcdda.org

Deutsche Kontaktstelle der EBDD
www.dbdd.de

Europäisches Netzwerk von NGOs im Drogenbereich
www.tni.org/drugs/index.htm

Europäisches Städtenetzwerk für Schadensminimierung in der Drogenpolitik
www.ecdp.net

Wichtiges drogenpolitisches Institut mit großer online-Bibliothek zur Schadensminimierung
www.lindesmith.org

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