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Ilka Schröder

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Festung Europa | Denkpause 11 | 19.02.01

Nicht Teil des Problems, sondern die Lösung

Fluchthilfe legalisieren!

Vor einem Jahr brachte ich die finanzielle Förderung für FluchthelferInnen an der EU-Ostgrenze in die Diskussion. Seitdem ist die Grenze nicht durchlässiger geworden. Wer in die EU kommen will, braucht eineN FluchthelferIn mehr denn je. Weil SchleuserInnen im Gegensatz zu den rot-grün-schwarz-blauen Eliten Europas nicht zwischen verwertbaren und unnützlichen AusländerInnen unterscheiden, wird die Repression gegen sie zukünftig EU-weit organisiert.

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Am intensivsten wird die Abschottung Europas gegen Menschen, die in der herrschenden Verwertungslogik nicht nutzbar sind, in Deutschland betrieben. Früher hatte sich die deutsche Bundesregierung von einer EU-Asylpolitik Regelungen erhofft, die restriktiver sind als die geltende Rechtslage in der BRD. Also trat man für eine Vergemeinschaftung des Politikbereichs ein. Heute dagegen tritt die rot-grüne Bundesregierung bei der Vereinheitlichung heftig auf die Bremse. Man fürchtet, daß Deutschland überstimmt wird und großzügigere Asylstandards akzeptieren muss.
So gilt in der BRD das Prinzip des »sicheren Drittstaates«. Wenn Asylsuchende aus einem Staat nach Deutschland einreisen, der für die BRD als »sicher« gilt, erhalten sie kein Asyl. Vom höchsten Gericht Großbritanniens erhielt die deutsche Bundesregierung bereits eine Ohrfeige: Aus dem Vereinigten Königreich dürfen bestimmte Flüchtlinge nicht mehr nach Deutschland abgeschoben werden. Begründung: Nichtstaatliche Verfolgung, z.B. durch wohlorganisierte Bürgerkriegsparteien, ist in Deutschland kein anerkannter Asylgrund.

Vor einer Entscheidung über einen Asylantrag steht aber erst einmal das Problem der Einreise in die EU. Wenn EuropäerInnen das Bedürfnis nach einem Ortswechsel haben, wenden sie sich an eine Umzugsspedition oder ein Reisebüro. Die Reisebüros, die für Flüchtlinge die Einreise in die EU organisieren, werden dagegen als Schleuser und Menschenhändler bezeichnet und verfolgt.

Wird einE FluchthelferIN vom BGS mit zehn Flüchtenden aufgegriffen, geht diese Aktion als elf Straftaten in die polizeiliche Kriminalstatistik ein. Diese wird dann wieder dazu verwendet, um Angst vor »Fremden« zu schüren. Der Bundesgrenzschutz (für den die rot-grüne Bundesregierung die politische Verantwortung trägt) hetzt im NPD-Stil auf seiner Internetseite: »Jeder illegal eingereiste Ausländer belastet unsere Solidargemeinschaft. Dies hat unter anderem Auswirkungen auf die Folgekosten und die importierte Kriminalität, z.B. der illegalen Arbeitsaufnahme oder Beschaffungskriminalität zur Bestreitung des Lebensunterhaltes etc.« Diese Art von Propaganda stellt einen eklatanten Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot der EU-Grundrechtscharta dar. Am Umgang mit FluchthelferInnen und illegaler Einreise zeigt sich aber, dass die Flüchtlingspolitik auch auf europäischer Ebene weit von einer solidarischen Aufnahme von Notleidenden entfernt ist. Die französische EU-Ratspräsidentschaft schlug im zweiten Halbjahr 2000 abschreckende Strafen für die »Beihilfe zur illegalen Einreise und zum unerlaubten Aufenthalt« vor. Dem Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Ozan Ceyhun (SPD), ist das nicht genug.Während Frankreich nur andere Strafen fordert, will Ceyhun »zusätzliche Strafen«.

Auf legale Beförderungsunternehmen, die nebenbei Staatsangehörige von Nicht-EU-Ländern ohne die erforderlichen Dokumente in die EU bringen, zielt eine weitere Initiative Frankreichs. Bereits heute bestehen in den Mitgliedsstaaten des Schengener Übereinkommens hierfür Sanktionen, die aber eine sehr unterschiedliche Höhe haben. In Belgien beträgt die Strafe 74 Euro pro blindem Passagier, in Frankreich 1.524 Euro. Die französische Regierung will nun EU-weit eine Mindeststrafe von 5.000 Euro vorschreiben. Der Vorschlag sieht ebenso wie auch der parlamentarische Bericht des Abgeordneten Timothy Kirkhope, eines britischen Konservativen, eine Erstattung der Strafen vor, wenn der eingereisten Person Asyl gewährt werden sollte. Mit dieser Regelung stellt sich die EU selbst das Attest aus, dass Asylsuchende nicht auf legalem Weg einreisen können - dass Schleuser und illegale Beförderung notwendig sind, um das aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Grundrechtscharta resultierende Grundrecht auf Asyl wahrnehmen zu können.

Mein Vorschlag, die Fluchthilfe-Branche zu fördern, ist damit gar nicht mehr so abwegig, wie GegnerInnen aus der eigenen Partei und Fraktion damals behauptet haben. Nach der gleichen Systematik, Strafen je nach Asylentscheidung rückzuerstatten, könnte selbst im herrschenden Unrechtssystem eine Aufwandsentschädigung für erfolgreiche Fluchthilfe verankert werden. Realpolitisch wird vielleicht nur ein Kopfgeld für Menschen erreicht werden können, die Abschiebeschutz, Asyl oder ein anderes Bleiberecht erhalten. Die Förderung muss dann aber mindestens so hoch sein, dass auch dem Abzug der Strafen für unberechtigte Schleusungen und der immensen Betriebsausgaben der FluchthelferInnen noch etwas zum Lebensunterhalt übrig bleibt.

Der britische Sozialwissenschaftler John Morrison hat im Auftrag des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) die europäische Politik gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel analysiert. Er stellt fest, »dass in der Praxis die auf Grenzbefestigung und den Kampf gegen Menschenschmuggel zielende Politik in Europa das Asylgrundrecht in einem Ausmaß unterhöhlt hat, das es nicht mehr als berechtigt erscheinen lässt, von einem Fortbestand dieses Grundprinzips der Menschenrechte auszugehen«.

Trotz aller Diskussionen über Rückerstattung und Förderung von Grenzüberschreitungen sollte aber die näherliegende und bessere Lösung nicht vergessen werden: Die EU-Grenzen werden für alle Menschen geöffnet, jegliche Personenkontrollen werden abgeschafft und alle dürfen da bleiben und sich dorthinbewegen, wo sie wollen.

Diese vollständige Liberalisierung des Grenzübertritts wird aber weder innerhalb der europäischen Grünen-Fraktion, noch im Parlament eine Mehrheit finden. Gerade Abgeordnete mit Deutschland-Bezug führen den Abschottungsflügel der Fraktion an: Zusammen mit dem in Deutschland gewählten damaligen Grünen-Vertreter Ozan Ceyhun (jetzt SPD) verfasste die Abgeordnete Heide Rühle ein Positionspapier zur Einwanderungspolitik. Das Papier folgt der in einem Parteitagsbeschluss der deutschen Grünen vorgegebenen Linie, vor allem jene »AusländerInnen« einreisen zu lassen, die als Humankapital für die deutsche Wirtschaft verwertbar sind. Ihr Lamentieren über »unkontrollierte und ungehinderte Zuwanderung« zeigt, welches Verhältnis die AutorInnen zu Menschen haben, die aus - oft von der EU verursachter - wirtschaftlicher Not nach Europa kommen wollen. Rühle, die in der Faz (19.09.2000) bereits ihre politische Nähe zu deutschen Sozial- und Christdemokraten eingeräumt hat, ist bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe der Denkpause noch immer Mitglied der Grünen-Fraktion. Der deutsch-französische Europaparlamentarier Cohn-Bendit stellt sogar die Verankerung des individuellen Asylrechts im deutschen Grundgesetz zur Disposition. Von der Forderung nach Streichung des Asylgrundrechts hat sich selbst die CDU inzwischen distanziert.
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Zum Weiterlesen:

EU-Grundrechtscharta
Artikel 18 (Asylrecht)
Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.

Leistungsbilanz des Bundesgrenzschutzes
http://www.bundesgrenzschutz.de/allgem/oep_arbeit/jahresberichte/jbericht00/bilanz.htm

Der deutsche Bundesgrenzschutz stellte im Jahr 1999 (für 2000 liegen noch keine Zahlen vor) 3.410 SchleuserInnen fest, die insgesamt 11.101 Personen beförderten. Über die erfolgreichen Beförderungen gibt es kaum Angaben. Im Jahr 1999 haben in Deutschland 95.113 Menschen Asyl beantragt, davon stellten 91 Prozent (86.118 Personen) den Asylantrag, als sie bereits im Land waren.

Bericht der Bundesregierung über einen Wortbeitrag von Otto Schily (SPD) auf dem Rat Justiz/Inneres am 30.11./1.12.2000:
Wenn die EU einen einheitlichen Wirtschafts- und Lebensraum darstellen solle, dann müsse vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs und im Hinblick auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen der EU auch eine konvergente Migrationspolitik verfolgt werden. Die Mitgliedstaaten müssten jedoch selbst darüber entscheiden können, wem sie den Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet ermöglichen wollten. ... Das Beispiel der Familienzusammenführung zeige, welche nachteiligen Folgen zu weitgehende Anspruchsgrundlagen in diesem Zusammenhang hätten....

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