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Ilka Schröder

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Festung Europa | Denkpause 11 | 19.02.01

»Keine Business-Class-Kunden«

Zu Problemen der FluchthelferInnen an den EU-Außengrenzen ein Interview mit eineR InhaberIn eines Reisebüros für Flüchtlinge

In den siebziger Jahren gab es Urteile des Bundesgerichtshofes, die Fluchthilfe an der deutsch-deutschen Grenze für rechtmäßig erklärten. Auch Honorare von bis zu 40.000 Westmark beanstandeten die Richter nicht. Das Europäische Parlament diskutiert 25 Jahre später Mindeststrafen, die FluchthelferInnen in allen EU-Staaten angedroht werden müssen. Halten Sie diesen Meinungswandel für sinnvoll?
Nein, gar nicht. Die Probleme meiner Kunden sind ähnlich wie die vieler DDR-Bürger. Da gibt es die einen, die sich politisch engagieren und in ihrer alten Heimat Repressionen erleiden. Andere wiederum erhoffen sich berechtigterweise ein besseres Leben im Westen. Den Opfern der ökonomischen Globalisierung geht es heute viel schlechter als den deutsch-deutschen Wirtschaftsflüchtlingen von damals. In der DDR wurden Fliehende im Herkunftsland an die Stasi verpfiffen. Heute muss man sich vor allem um die ordnungsliebenden Bürger in der BRD als Zielland sorgen. Ein Großteil der fehlgeschlagenen Versuche, die Grenze zu überschreiten, geht auf das Konto von organisierten ehrenamtlichen Bürgerwehren und zufälligen Beobachtungen von Denunzianten. Viele Deutsche im Grenzgebiet haben die Hotline des Bundesgrenzschutzes in ihr Handy eingespeichert und melden verdächtige Personen. Unter den Zonis, die heute den BGS informieren, sind manche noch aus den alten Kadern, die schon damals Republikflüchtige meldeten.

Schleuser sind in der Öffentlichkeit etwa so gut angesehen wie Zuhälter und Rinderzüchter. Verdienen Sie denn auch so gut an der Grenze? Was würde ich bezahlen, um von Ihnen Unterstützung bei der Flucht zu bekommen?
Das kommt auf die Transportstrecke an. Es ist natürlich billiger, nur von Tschechien aus in die EU befördert zu werden. Für die früher an der deutsch-deutschen Grenze üblichen 40.000 DM würde ich eine ganze Großfamilie von Sri Lanka nach Deutschland bringen.

Trotzdem, wie können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, notleidenden Menschen noch Geld abzunehmen?
Für die Finanzierung der Grenzüberschreitungen gibt es zur Zeit keine andere Möglichkeit, als auf Gebühren der Flüchtlinge zurückzugreifen. Die humanitären Organisationen halten sich mit Zuschüssen für Fluchthilfe sehr zurück. Sie investieren ganz im Sinne der EU in erbärmliche Lager, in denen Flüchtlinge hunderte Kilometer vor den EU-Grenzen abgefangen werden sollen. Wenn Sie mir moralische Vorwürfe machen wollen, weil ich für meine Transportdienstleistung ein Entgelt verlange, dann kann ich nur sagen: Mit welchem Recht tut genau dasselbe die Bahn, eine Fluggesellschaft oder ein Taxifahrer? Dort werden Notleidende auch nicht kostenlos transportiert. Und gerade bei Lufthansa oder anderen Großunternehmen könnte man sich das aufgrund der zahlungskräftigen Business-Class-Kunden noch am ehesten leisten.

In Brüssel wird derzeit diskutiert, ob bei der Strafandrohung zwischen erwerbsmäßiger und ehrenamtlicher Fluchthilfe unterschieden werden soll. Wird das Auswirkungen auf die Branche haben?
Die Diskussion über verschiedene Möglichkeiten der Grenzüberschreitung ist ein kleiner Schritt nach vorne. Die konfrontative Forderung nach einer Subventionierung unserer Branche hat hier einiges verändert. Früher hat man keineswegs von Erwerbstätigkeit gesprochen. Ausbeutung war da noch eine der harmloseren Bezeichnungen dafür, dass man sich die Dienstleistung bezahlen lässt. Die diskutierte Unterteilung finde ich aber problematisch. Ehrenamtliche Fluchthelfer, die in anderen Jobs ihren Lebensunterhalt verdienen, gibt es nicht viele. Gleichzeitig ist der Bedarf nach Schleuser-Dienstleistungen enorm groß. Zusätzlich werden die Grenzen immer aufwendiger gegen Flüchtlinge abgeschottet. Deswegen reicht die ehrenamtliche Hilfe nicht aus - man braucht auch bezahlte Personen und Gruppen. Die können wegen ihrer Auslastung keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgehen. Wenn das Europaparlament die Legalisierung der ehrenamtlichen Fluchthilfe beschließt, dann ist das natürlich gut. Gerade weil viele AntirassistInnen heute denken, sie würden höllisch bestraft, wenn sie bei der Organisation einer illegalen Grenzüberschreitung erwischt werden. Ich stelle es mir nur schwierig vor, das in der Praxis umzusetzen.

Warum?
Auch ehrenamtliche Schleuserinnen und Schleuser müssen irgendwie ihre Auslagen finanzieren. Nur der geringste Teil des Honorars ist für meinen Lebensunterhalt, auch Transportmittel, Schmiergelder und die Kosten der Strafverfolgung müssen refinanziert werden. Dafür gibt es nicht immer eine Quittung. Oft werden meine Kunden von mir auch neu eingekleidet, um sie als Geschäftsleute über die Grenze zu fahren. Das alles ist nicht billig.

Also wäre eine Subvention der Schleuserbanden durchaus sinnvoll?
Ja. Wenn man sich nicht dafür entscheiden kann, die Grenzen für Menschen zu öffnen, wäre das sinnvoll. Auch wenn das natürlich ziemlich kontraproduktiv wäre: die Grenzen mit diesen Subventionen durchlässiger zu machen und gleichzeitig die Abschottung der Festung EU gegen Flüchtlinge voranzutreiben.

Die Identität des Gesprächspartners/
der Gesprächspartnerin ist der Redaktion nicht bekannt. Das mag gegen journalistisches Ethos verstossen, erklärt sich in diesem Fall jedoch wegen des durch die Strafverfolgungsbehörden immer weiter ausgehebelten journalistischen Zeugnisverweigerungsrechtes. Die Herausgeberin kann aus ähnlichen Gründen auch keine FluchthelferInnen vermitteln.

BGH-Entscheidung zur Rechtswirksamkeit von Fluchthelferverträgen (III ZR 164/75, aus: BGHZ 69, 295-302)
Leitsatz:
1. Ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, dem anderen Vertragsteil für die sog. Ausschleusung eines Einwohners der Deutschen Demokratischen Republik ein Entgelt zu zahlen (Fluchthelfervertrag), verstößt weder gegen ein gesetzliches Verbot (BGB § 134) noch ohne weiteres gegen die guten Sitten (BGB § 138 Abs. 1).
2. Ein Deutscher, der aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland oder nach Berlin (West) übersiedelt, verstößt nicht gegen die in der BRD geltenden Gesetze und Wertvorstellungen, sondern macht von seiner ihm durch das GG gewährleisteten Freizügigkeit Gebrauch. Er handelt nicht sittenwidrig. Für den, der ihm beim Verlassen der DDR und bei der Einreise in die BRD oder nach Berlin (West) hilft, kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Die Gewährung von Fluchthilfe verstößt daher als solche nicht gegen die guten Sitten, ebensowenig die Verpflichtung zu solcher Hilfe.
3. Der entgeltliche Fluchthilfevertrag verstößt weder gegen BGB § 134 noch gegen BGB § 138 Abs. 1.
4. Der Vergütungsanspruch des Fluchthelfers ist einklagbar.

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