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Ilka Schröder

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Echelon | Denkpause 13 | 01.07.01

EU-Parlament will europäisches Echelon

Gute Lauscher,
schlechte Lauscher

Der Ausschuss zur Untersuchung des Spionagesystems Echelon macht in seinem Abschlussbericht den Vorschlag, einen europäischen Geheimdienst zu eröffnen. Statt der Sorge um die Privatsphäre der Individuen schimmert durch den Text nur Antiamerikanismus und Standortnationalismus. Dafür wird ein spannender Physikunterricht geliefert.

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Haben Sie in der Schule gut aufgepasst? Ja? Dann können Sie sich die Lektüre des Abschlussberichts sparen, den der Echelon-Ausschuss des Europäischen Parlaments vorgelegt hat. Wenn Sie allerdings zu denen gehören, die unter der Bank immer Doppelkopf geklopft haben, während der Oberstudienrat sich bemühte, die Grundlagen der Strahlungslehre zu vermitteln, dann können Sie dem Bericht wichtiges Grundlagenwissen entnehmen. Doch auf den 120 Seiten, die der Berichterstatter Gerhard Schmid vollgeschrieben hat, dient der Nachhilfeunterricht vor allem einem Zweck. Er soll den Beweis liefern für die These, die Schmid im ersten Absatz seiner Schlussfolgerungen zusammenfasst: »Die Analyse hat gezeigt, dass die Mächtigkeit dieses Systems bei weitem nicht so umfangreich sein kann, wie von den Medien teilweise angenommen.«
Was aber zeigt die Analyse dieser Aussage? Dass dieser Satz den einzigen Zweck verfolgt, die politische Bedeutung von Echelon herunterzuspielen. Denn der politische Skandal an einem Abhörsystem wie Echelon ist, dass das Grundrecht auf Privatsphäre in dem Moment faktisch nicht mehr gilt, in dem Menschen über Entfernungen hinweg kommunizieren.
Niemand kann heute mehr sicher sein, dass auch nur ein Wort, das er oder sie schreibt, versendet, am Telefon spricht, wirklich nur den Adressaten oder die Adressatin erreicht. Daran ändert auch das Grundrecht auf Privatsphäre nichts, das in zahlreichen Gesetzen der Mitgliedsstaaten, in Richtlinien der EU, in der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtscharta verbrieft ist. Zwar kann Kryptographie einen starken Schutz bieten, aber eine hundertprozentig sichere Verschlüsselung gibt es nicht. Politisch spielt es keine Rolle, ob Echelon nun 80, 90 oder 99 Prozent der weltweiten Telekommunikation abfangen kann. Selbst wenn es nur ein Telefongespräch am Tag wäre, bliebe der grundsätzliche Skandal bestehen: Die Kommunikation zwischen Menschen wird abgehört, ausgewertet, archiviert.
Es wäre die Aufgabe des Parlamentsausschusses gewesen, das zu kritisieren. Stattdessen hat der Berichterstatter einen Abschlussbericht vorgelegt, der so zusammengefasst werden kann: Jawohl, Echelon existiert, aber es ist längst nicht so schlimm, wie manche meinen. Welches Ziel er damit verfolgt, ist klar: Als besonders effizientes Abhörsystem ist Echelon die Fortentwicklung dessen, was die nationalen Geheimdienste in allen EU-Staaten betreiben. Und welche Sozialdemokratin, welcher Christdemokrat oder Kommunist möchte schon ganz auf das Abhören verzichten?
Eine grundsätzliche Kritik an der Abhörpraxis verbietet sich für den Ausschuss schon aus diesem Grund. Wer selbst abhört, kann anderen nur den Vorwurf machen, dass das andere Abhörsystem zu gut funktioniere. Damit lässt sich aber nicht die Abschaltung von Echelon fordern. Die kann nur verlangen, wer grundsätzlich dagegen ist, dass staatliche Behörden, ob nun Geheimdienste oder Polizei, im Privatleben ihrer BürgerInnen herumschnüffeln.
Der Berichterstatter hält ein ganz anderes Rezept bereit: »Eine Zusammenarbeit der Nachrichtendienste innerhalb der EU«, heißt es in den »Schlussfolgerungen« des Berichts, »erscheint insoweit wünschenswert, als einerseits eine Gemeinsame Sicherheitspolitik ohne Einbeziehung der Geheimdienste sinnwidrig wäre, andererseits damit zahlreiche Vorteile in professioneller, finanzieller und politischer Hinsicht verbunden wären.« Übersetzt heißt das: Gegen Schnüffeln soll noch mehr Schnüffeln helfen.
Aber, bitte schön, mit demokratischem Anstrich: »Eine entsprechende Kontrolle durch das Europäische Parlament muss dann natürlich gesichert sein.« Ist sie aber nicht, denn auf der ganzen Welt gibt es kein einziges Beispiel für die funktionierende Kontrolle eines Geheimdienstes durch ein Parlament oder eine andere Institution. Man muss sich nur das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste in der Bundesrepublik ansehen: Da kriegen die neun Bundestagsabgeordneten, die dort sitzen, ein Häppchen vom Herrschaftswissen der Geheimdienste ab, werden dafür zu Verschwiegenheit verpflichtet und so de facto zu Komplizen, nicht aber zu Kontrolleuren von BND, MAD und Verfassungsschutz.
Auf europäischer Ebene hat die Demokratie bekanntlich ein noch oberflächlicheren Glanz. Es ist also nicht viel Fantasie nötig, um sich vorzustellen, wie die »demokratische Kontrolle« eines künftigen EU-Geheimdienstes durch das Europäische Parlament aussehen wird: Ähnlich wie einst bei Europol wird wohl einmal jährlich ein im Tonfall einer Werbebroschüre gehaltener Bericht veröffentlicht werden, aus dem alle potenziell problematischen Fälle sorgfältig eliminiert wurden und der dann als Diskussionsgrundlage für einen so genannten Geheimdienst-Kontrollausschuss des Europäischen Parlaments dienen wird.
Wie gut trifft es sich da, dass die Feststellung des Echelon-Ausschusses, jetzt müsse endlich ein Euro-Geheimdienst her, just zu einer Zeit fällt, in der die Planungen für einen solchen Geheimdienst in eine entscheidende Phase treten. Ende Mai stand auf der Tagesordnung des Justiz- und Innenministerrats der Union ein Vorschlag, den die »Police Cooperation Working Party« des EU-Rates ausgearbeitet hatte, ein Gremium, in dem hohe Polizei-Offiziere einträchtig neben Geheimdienst-Leuten sitzen. Inhalt des Papiers, das offenbar nur wegen verfahrensrechtlicher Einwände vorläufig nicht verabschiedet wurde: Sämtliche Daten aller elektronischen Kommunikationsverbindungen, ob per Fax, e-Mail, Mobil- oder Festnetztelefon, dazu der Inhalt aller Web-Seiten, Newsgroups, Chatrooms und Messageboards, soll für unbestimmte Dauer, mindestens aber zwölf Monate lang gespeichert werden, damit Polizeien und Geheimdienste darauf zugreifen können. Erfasst werden sollen nicht nur die Inhalte der Kommunikation, sondern beispielsweise auch Kreditkarten-Details, Nicknames, Passwörter, sowie die Wohnadressen der Kommunizierenden.
Diese Daten sollen nicht allein - wie bei Echelon - im Interesse der so genannten nationalen Sicherheit abgerufen werden können, sondern bereits bei unbestimmtem Verdacht auf eine beliebige Straftat. Das wäre der Schritt zu einer europaweiten Kontrollgesellschaft, in welcher die Staaten über jede Regung ihrer BewohnerInnen informiert sind, während diese keine Ahnung haben, wo überall ihre Daten gespeichert sind und welchen verschiedenen Arten von Missbrauch sie dienen.
Selbstredend verstößt auch diese Planung gegen jede einzelne Datenschutzbestimmung, die zur Zeit in der EU gilt. Aber wer regiert, muss Gesetze nicht brechen, sondern kann sie einfach ändern.


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Zum Weiterlesen:

Echelon-Seite der Federation of American Scientists
http://www.fas.org/irp/program/process/echelon.htm

EchelonWatch, die Echelon-Seite der American Civil Liberties Union
http://www.echelonwatch.org

Homepage des Echlon-Ausschusses des Europäischen Parlaments
http://www.europarl.eu.int/committees/echelon_home.htm

Die britische Privacy-Organistion Statewatch über die europäsiche Abhör-Planung Enfopol
http://www.statewatch.org/soseurope.htm

Enfopol-Themenseite des Online-Dienstes Heise
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/enfo/default.html

Mehr von Ilka Schröder zu diesem Thema
http://www.ilka.org/themen/infotech.html

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