ilka.org-Logo (Link auf Startseite)
Ilka Schröder

Startseite>Denkpause>

Gewalt | Denkpause 14 | 17.09.01

Keine Revolte ohne Krawall

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus

Seattle, Prag, Nizza, Göteborg, Genua! ... Und Köln? Köln, immerhin Schauplatz von Protesten gegen G8- und EU-Gipfel 1999, spielt als historischer Ort von antikapitalistischem Widerstand gegen die Globalisierung keine Rolle. Mit der gleichen Regelmäßigkeit, mit der die Proteste zum Kölner Doppelgipfel aus der Geschichte der neuen antikapitalistischen Bewegung ausgeklammert werden, betonen manche sogenannten Nichtregierungsorganisationen, dass ihre eigenen Aktionsformen »friedlich und frei von physischer Gewaltanwendung sind« (Attac-Deutschland).

[Weitere Informationen]

Mehr noch. Sie streben danach, ihr eigenes Vorgehen zum alleingültigen Katechismus auszubauen: »Veränderung kann… nur demokratisch, d.h. durch die Teilnahme vieler Menschen an gesellschaftlicher Bewegung erreicht werden. Anders funktioniert sie nicht.«
Oder doch? Für den Protest der friedlichen Massen in Köln interessierte sich kaum jemand. Die Proteste von Seattle, Prag, Nizza, Göteborg und zuletzt Genua schafften es hingegen zielsicher auf die Titelseiten.

Der »Schwarze Block« spülte die Existenz und manches Anliegen der GlobalisierungskritikerInnen in die Köpfe und Herzen der Menschen und die Mitte der Gesellschaft. Nur manches Anliegen, denn genauso unterschiedlich wie die Aktionsformen, aber wesentlich schwieriger zu vermitteln sind die politischen Positionen innerhalb der Bewegung. Die einen wollen faire Handelsbedingungen für die Dritte Welt, die anderen wollen den eigenen Markt für landwirtschaftliche Produkte abschotten. Viele reden nur von Globalisierung und Neoliberalismus, andere auch von Kapitalismus oder gar Kommunismus. Die einen wollen neue Steuern und weniger Finanzparadiese, um den Staaten gegenüber der Wirtschaft mehr Handlungsfähigkeit zu geben. Den Misshandelten von Genua ist dies schwer vermittelbar. Denn die Finanzkraft von Staaten zu erhöhen, dessen nicht gerade finanzschwache Polizei gerade den eigenen Unterkiefer zertrümmert hat, ist wohl keine sehr attraktive Vorstellung. Eher eine Erinnerung an vergessen geglaubte StaMoKap-Ansätze. Doch vor einer Zieldiskussion debattieren die meisten GlobalisierungskritikerInnen zunächst die richtigen Protestformen - wie fast jede soziale Bewegung zuvor. Wie immer lautet die Frage: Ist Gewaltanwendung für das Erreichen der eigenen Ziele moralisch gerechtfertigt und strategisch sinnvoll - oder nicht? Unterschieden werden dabei gerne der autonome »schwarzen Block« und die überdeutliche Mehrheit 190.000 gewaltfreier DemonstrantInnen. Allerdings unterstellt diese Sichtweise in der Regel, alle anrückenden ProtestiererInnen wüssten schon vorher, wie sie sich später verhalten werden, und hätten keine Chance, davon später abzuweichen. Eine spontanen Wechsel der Aktionsform beim Anblick prügelnder PolizistInnen klammert diese Auffassung aus.

Deren Gewalttätigkeit in Form von Schüssen, Knochenbrechen und systematischen Misshandlungen kommt zwar häufiger vor, wird aber weit weniger thematisiert. Hätte in Genua jedoch ein Demonstrant aus nächster Nähe eineN PolizistIn erschossen, wäre die globalisierungskritische Bewegung in Europa vorerst am Ende gewesen, denn neben systematischer institutioneller Rache hätte dieses Thema auf lange Zeit jegliche Form des Widerstands im Kern diskreditiert. Auch an der Startbahn West des Frankfurter Flughafens hatte ein Polizistenmord die Gegenbewegung atomisiert. Solange jedoch auf der Gegenseite keine Menschenleben gefährdet wurden, hat sich der Einsatz von reflektierter Gewalt in sozialen Bewegungen nicht unbedingt negativ ausgewirkt. Gewaltfreier ziviler Ungehorsam und »normale« Massendemonstrationen waren für den Erfolg europäischer sozialer Bewegungen zwar unverzichtbar, dies gilt jedoch genauso wie für den gut reflektierten Einsatz von Gewalt gegen Dinge. Im Streit um die Atomkraft haben manche militante Auseinandersetzungen Anfang der 80er Jahre sicherlich zur drastischen Reduzierung des deutschen Atomprogramms beigetragen, und die stark nach außen kommunizierte Gewaltbereitschaft mancher Antifa-Gruppen in den 90ern dürfte einigen MigrantInnen in Deutschland das Leben gerettet haben. Genauso hätten die 200.000 völlig friedlichen Menschen in Genua der Globalisierungskritik kaum den guten Ruf verschafft, den sie jetzt hat. Die altbekannte Gegenthese, es würde dann nur über die Gewalt, nicht aber über das politische Anliegen der Bewegung nachgedacht, ist heute so unpassend, dass sie schon gar nicht mehr aufgestellt wird.

Dennoch sollte man sich bei der Abwägung verschiedener Aktionsformen kaum von kurzfristigen emotionalen Stimmungen leiten lassen, wie dies offenbar der italienische Rockstar Luca »Zulu« Persico tat: »Die Lust, auf die Straße zu gehen, nicht nur beschützt von (vor? I.S.) der Polizei, sondern richtig bewaffnet, ist riesengroß. … Unbewaffnet marschieren heißt in den Tod gehen.« Aber auch bewaffnet dürfte die militärische Auseinandersetzung mit dem Staat wohl doch eher eine verlustreiche Angelegenheit bleiben. Polizei und Militär werden mit Milliarden Euros jährlich aufgerüstet und von starren Verteidigungsarmeen zu gut organisierten mobilen Angriffskommandos umgebaut. Weil dieser Apparat um ein Vielfaches stärker ist als die Bewegung, liegt es im Interesse des Staates, die Bewegung in eine militärische Auseinandersetzung zu zwingen. Ein weiterer Grund, sich auf solcherlei Eskaltionsversuche nicht einzulassen, genauso wenig wie auf die Träumerei, irgendwelche Einheiten von Polizei oder Armee könnten auf die Seite der Aufständischen überlaufen. Stattdessen könnte sich die antikapitalistische Bewegung auf eine horizontale Erweiterung des Aktionsspektrums konzentrieren, vielleicht orientiert an der Kommunikationsguerilla oder direkten Aktionen nach dem Vorbild von Anti-Castor oder Anti-Gelöbnis-AktivistInnen. Für EinsteigerInnen ist eine gewaltfreie Protestkultur manchmal attraktiver, auch aus dem Grund, dass Militante oft ihre Treffpunkte nicht öffentlich bekannt machen. In den 80er und 90er Jahren ging man zudem davon aus, bei gewaltfreien Aktionen einem geringeren Eigenrisiko ausgesetzt zu sein. Die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen ist ohne größere Vorbereitungen möglich, und früher waren dabei oft Kinder und ältere Menschen beteiligt. In den meisten Konflikten war das Erfolgsrezept der sozialen Bewegungen jedoch letztendlich die Vielfältigkeit der Aktionsformen. Sie hat gleichermaßen die nötige Massenbasis, die Unberechenbarkeit der Bewegung und ihren Unterschied zur Sozialdemokratie verdeutlicht.
Um dieser, für sie gefährlichsten Mischung habhaft zu werden, läuft die Strategie der Herrschenden auch immer wieder auf den Versuch zur Spaltung anhand der Gewaltfrage hinaus. In einem Strategiepapier des schweizerischen Bundesamtes der Polizei geht es unter »Handlungsoptionen/Empfehlungen« daher auch nicht zuerst um die Aufstandsbekämpfung, sondern um die Spaltung: »1.Der Dialog mit den friedfertigen Aktivisten muss gefördert und ihren Anliegen mehr und ernsthaftere Beachtung geschenkt werden.« Was friedfertig oder legal ist, und was Repression erfordert, bleibt dann aber überall dem Ermessen der Polizei überlassen. In Deutschland wurde beispielsweise vor dem letzten Castor-Transport nach Gorleben der Sprecher der gewaltfreien aber dennoch entschieden handelnden Sitzblockade »x1000malquer« präventiv festgenommen. Keinerlei Äußerung der Gewaltbereitschaft hatte vorher seinen Mund verlassen.

Die durch die Integration des gemäßigten Flügels bewirkte Akzeptanzsteigerung des Herrschaftsapparates ermöglicht so dann, bei den nicht-friedfertigen AntikapitalistInnen härter zur Sache zu gehen: »4. Im Ereignisfall sollten den mit der Wahrung der Sicherheit beauftragten Organen (Polizei, Grenzorgane, Justiz) griffige Mittel zur Verfügung gestellt werden, die ein effizientes, wenn möglich präventives Vorgehen gegen erkannte Unruhestifter ermöglichen. Dazu gehören auch präventive Maßnahmen gegen in verschiedener Form publik gemachte Aufrufe zur Gewaltanwendung oder anderen Straftaten (Vorgehen gegen Betreiber resp. Anbieter von Internet-Seiten, Produzenten und Verteiler von Propagandamaterial usw.).«
Für die verschiedenen Flügel der jungen antikapitalistischen Bewegung sollten Erkenntnisse über die unberechenbaren Gewaltausbrüche der Polizei zunächst einmal zu gegenseitiger Rücksichtnahme führen. Gewaltbereite AkteurInnen müssen auf die Ängste demonstrativ friedlicher Gruppen Rücksicht nehmen. Das bedeutet insbesondere, in übersichtlichen Situationen denjenigen Fluchtweg zu wählen, bei dem demonstrativ gewaltfreie AkteurInnen vor den staatlichen VerfolgerInnen geschont werden. Von den Chefs der friedliebenden DemonstrantInnen darf im Gegenzug erwartet werden, dass sie nicht öffentlich behaupten, es sei »Aufgabe der Polizei, nicht nur Politiker vor Gewalttätigen zu schützen, sondern auch die friedlichen Demonstranten« (Saarbrücker Zeitung 14.08.2001). Sie würden damit ohnehin an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen: Für das aufflammende Interesse an einer Attac-Mitgliedschaft ist - verkehrte Welt - die eine oder andere in der Zeitung abgebildete brennende Bank ganz hilfreich.

Um es abschließend noch etwas grundsätzlicher zu fassen: Die Ausübung von Gewalt teilt sich in eine moralische und eine politische Frage. Die politische Antwort setzt eine grobe gemeinsame Vorstellung über die Ziele der Bewegung voraus. Weil jedoch heute keine gemeinsame Zielvorstellung vorhanden ist, ist die Diskussion mühsam und schleppend, und eine gemeinsame Linie in der Gewaltfrage nicht in Sicht. Nicht nur in den Medien ist die Zahl derjenigen groß, die zum Schutz der UCK vor zwei Jahren den Abwurf von Bomben auf Jugoslawien forderten, von den KapitalismuskritikerInnen aber weiterhin absolute Gewaltfreiheit verlangen. Ihr politisches Äquivalent bilden zur Gewaltfreiheit geläuterte Moralapostel und Selbstdarsteller wie Fischer und Cohn-Bendit, die ihr eigenes, aktuelles Gewaltpotenzial offensichtlich wenig stört, wenn sie heute von außen pseudo-humanitäre Ergüsse über die Bewegung schütten. »Gewalt ist nur schlecht, wenn ich sie nicht selbst ausübe oder befehle«, so müsste heute eigentlich der Leitspruch von Fischer und Cohn-Bendit lauten. Schließlich stehen sie selbst stramm zur organisierten, militärischen, aus Flugzeugen ausgeübten und gegen Menschen (»Kollateralschaden«) gerichteten Gewalt. Auch in anderen Fällen ist Gewalt als Schmiermittel politischer Veränderung durchaus recht. Klirrende Scheiben und Feuer im jugoslawischen Parlamentsgebäude wurden von vielen europäischen PolitikerInnen und Medien regelrecht gefeiert. Schließlich ging es nicht gegen ihre Freunde, sondern ihre Hauptgegner auf dem Balkan.
top


Zum Weiterlesen:

Rezension
Linke Zukunftsvorstellungen gibt es nicht nur auf den Gassen von Genua, sondern auch hinter den Schreibmaschinen von Universitäten.
Wirtschaftsdemokratie, Wohlfahrtskapitalismus, Care Economy, Gewerkschaftspolitik, feministische solidarische Ökonomie, Nachhaltigkeit und Selbsthilfegenossenschaften sind die über die Jahre nur wenig veränderten Ansätze. Ob eine Kapitalismuskritik »ohne konkrete Reformalternativen, ohne Nah- und Fernziele, ohne fundamentale Demokratisierung… letztendlich demotivierend und demobilisierend« bleibt, wie im Editorial des Bandes behauptet wird, sollte angezweifelt werden. Die Strategie der praktischen antikapitalistischen Bewegung dürfte auch nach der Lektüre des aktuellen Widerspruch immer noch eine höhere Faszination auslösen. Hier wird erst einmal das brennende Haus gelöscht, anstatt sich gleich über den Bauplan eines neuen Gebäudes den Kopf zu zerbrechen. Lesenswert ist der wohl versehentlich unter diesem Schwerpunkt erschienene Beitrag von Heiner Busch über Asylpolitik und Sozialarbeit im Visier des Sicherheitsstaates. Unter dem Deckmantel von Sozialarbeit und Prävention dehnt sich polizeiliche Tätigkeit immer mehr in die Gesellschaft aus. Wie bei vielen Maßnahmen der »inneren Sicherheit« trifft es zunächst diejenigen, die sich am wenigsten zu wehren wissen: Asylsuchende und SozialhilfeempfängerInnen bzw. Arbeitslose. Das AusländerInnen- und Sozialhilferecht wird dabei immer weniger als garantierter Rechtsstandard verstanden. Stattdessen sind die KlientInnen zunächst einem Missbrauchsverdacht ausgesetzt und müssen dementsprechend Eingriffe in ihre Privatsphäre erdulden.

Indymedia
Indymedia ist unabhängige nichtkommerzielle Berichterstattung von unten über wichtige soziale und politische Themen vor Ort und weltweit. AktivistInnen sind daran beteiligt. Indymedia ist ein internationales hierarchiefreies Netzwerk und versteht sich als Teil des weltweiten Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung. Indymedia hat auf unabhängige Berichterstattung schon so etwas wie ein Monopol - wenn nicht jedeR BenutzerIn selbst seine Berichte oder Kommentare zu vorhandenen Berichten veröffentlichen könnte. Solche Bericherstattung braucht Geld. Spenden bitte an:

Empfänger:
Förderverein,
Kto.: 3023301, bei:
Sozialbank Berlin
(BLZ 100 205 00),
Verwendungszweck:
»Indymedia«.
http://www.indymedia.org (international)
http://de.indymedia.org (Deutschland)

top

Pages in English

ilka.org sicher lesen? dann: https://www.ilka.org