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Ilka Schröder

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WTO | Denkpause 5 | 27.03.00

Tobin-Steuer auf internationale Finanzspekulation

Gespaltene BörsengegnerInnen?

Die französische Initiative »Attac« fordert seit 1998 eine Steuer auf internationale spekulative Kapitalbewegungen (»Tobin-Tax«). Auch in der Bundesrepublik hat sich nun ein Netzwerk gegründet, das sich für diese Steuer einsetzt. Ein Antrag im Europäischen Parlament zur Prüfung der »Tobin-Tax« schlug derweil fehl.

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223 zu 229: Am 20. Januar 2000 lehnte eine knappe Mehrheit des Europaparlaments einen zaghaften Auftrag an die EU-Kommission ab, die Besteuerung von internationalen Finanzspekulation zu prüfen. Zuvor hatten sich mehrere Fraktionen auf einen Antrag geeinigt, der die EU-Kommission dazu auffordern sollte, einen »Bericht über die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit einer Steuer auf internationale spekulative Kapitalbewegungen« zu erstellen. Die sogenannte »Tobin-Tax« (siehe Kasten) ist jetzt in den EU-Institutionen bis auf weiteres kein Thema mehr.

Zwei Tage nach dieser Abstimmungsniederlage gründeten mehrere deutsche Nichtregierungsorganisationen in Frankfurt am Main ein »Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte«. Peter Wahl, einer der KoordinatorInnen, meinte anläßlich der Gründung des Netzwerkes der FinanzmärktekritikerInnen: »Die Finanzmärkte diktieren den Regierungen zunehmend die Grundlagen der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik«. Selbst große Industrieländer würden heute von den Börsen erpreßt. »Banker, Spekulanten und Manager dubioser Fonds« hätten die Macht, über die Lebensverhältnisse von Millionen von Menschen zu entscheiden.

Ganz neu ist dieses Thema nicht. Schon seit Jahren prangert das französische Monatsblatt »Le Monde diplomatique« die wachsende internationale Finanzspekulation an. Die täglichen Devisenumsätze auf den Kapitalmärkten der Welt sind zwischen 1980 und heute von 80 Milliarden auf 1,5 Billionen US-Dollar täglich angestiegen. Nach Angaben der Bank für internationalen Zahlungsbilanzausgleich werden über 80 Prozent dieser Transaktionen werden für sieben Tage oder kürzer getätigt.

Die internationalen spekulativen Kapitalbewegungen mit kurzfristigem Charakter haben sind zwar nicht Hauptschuldige an internationalen Finanzkrisen, dennoch sind sie oft Auslöser.

Gleichzeitig ist die Macht der Börsen (also auch des längerfristig angelegten Kapitals) immer größer geworden. Sie hebeln politische Entscheidungen aus und können ganze Staaten in den Ruin stürzen - wie etwa bei der »Asienkrise« im Jahr 1998.

»Le Monde diplomatique« wirbt daher für eine Steuer auf spekulative Börsentransaktionen, die sogenannte Tobin-Steuer. Wenn jede Transaktion mit einem Mini-Steuersatz zwischen 0,1 und 0,5 Prozent belastet würde, dann wären schnelle und rein spekulative Umsätze nicht länger rentabel. Auf diese Weise könne man »Sand ins Räderwerk der Spekulation« streuen, manche künftige Finanzkrisen vermeiden und - nebenbei - Geld einnehmen, um es an soziale Projekte weiterzuleiten. Aus der Initiative von »Le Monde diplomatique« ist im Juni 1998 in Frankreich die »Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zur Hilfe für die Bürger« (»Attac« - »Association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens«) hervorgegangen. Aus dem ursprünglich kleinen Verein von Intellektuellen wurde in kurzer Zeit eine ansehnliche Bewegung, die nicht mehr nur in Frankreich vertreten ist, sondern auch in dreißig anderen Ländern wie Kanada, Brasilien, Belgien und der Schweiz. Weitere UnterstützerInnen für Tobin-Steuer sind unter anderem das kanadische Parlament, die französische und die finnische Regierung, Ex-Weltbankchefs und der Multimillionär George Soros.

Das deutsche Netzwerk, das sich jetzt in Frankfurt gegründet hat, knüpft mit seinen Forderungen direkt an »Attac« an: »Die Politik muß wieder die Souveränität über die Finanzmärkte gewinnen«. So lautet das Ziel - was jedoch noch viele Fragen offen läßt.

Die Argumentation vieler »Tobin-Tax«-BefürworterInnen läuft nämlich darauf hinaus, statt den Börsen wieder dem Staat mehr Gestaltungsspielräume und damit mehr Macht verleihen zu wollen.

Jenem Staat also, der sich selbst schwächt, indem er die Wirtschaft dereguliert und aus ihrer sozialen Verantwortung entläßt. Und gleichzeitig rüstet er im Innern und an den Außengrenzen auf, überwacht seine BürgerInnen und unterwirft sie zunehmend einem Arbeitszwang. »Attac« spricht seinerseits weniger vom Staat als vielmehr von der »Zivil-« oder »Bürgergesellschaft«, die sich nicht länger dem Diktat der Finanzmärkte unterwerfen dürfe. Was aber macht eine Zivilgesellschaft aus? Sehen sich nicht auch die ProtagonistInnen der Unternehmen, Banken und Fondsgesellschaften, also diejenigen, die spekulieren und transferieren, als Bestandteile der »Zivilgesellschaft«?

Nicht zuletzt ist auch die Wirksamkeit einer Tobin-Tax umstritten. Von den gigantischen globalen Finanzströmen ein »Steuerchen« abzuzwacken, ist vielleicht eine sympathische Idee. Die weltweiten Finanz- und Handelsbeziehungen, die den südlichen Teil des Globus marginalisieren, ausbeuten und um eigenständige Entwicklungsmöglichkeiten bringen, werden durch eine Mini-Steuer auf Spekulationen aber nicht gerechter, sondern berechenbarer und damit stabiler. Selbst wenn man neben der Einführung der »Tobin-Tax« noch weitere Maßnahmen wie die Abschaffung hochspekulativer Fonds oder Schließung von Steueroasen durchsetzen würde - dem globalen Finanzwesen würde dies keinen wirklichen Schaden zufügen.

Genau an diesem Punkt zeichnet sich eine mögliche Spaltung der »Tobin-Tax«-Bewegung ab: Die Resolution des Europaparlaments zu den internationalen Kapitalbewegungen ist nicht nur an konservativen Abgeordneten und einigen SozialdemokratInnen und Liberalen gescheitert, die gegen alles sind, was die Macht der Börsen irgendwie einschränken könnte, sondern auch an vier Abgeordneten der radikalen französischen Linken. Ihnen mißfiel in dem zur Abstimmung stehenden Text besonders das Bestreben, »auf längere Sicht eine größere Stabilität des globalen Währungs-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialsystems (...) zu gewährleisten«.

Der trotzkistische Abgeordnete Alain Krivine versteht sich als Kämpfer gegen die Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Systems. So sah er sich nicht in der Lage, eine Resolution zu unterstützen, in der ein reibungsloseres Funktionieren des Finanzsystems gefordert wird.

Durch diesen Konflikt wurde deutlich, mit welcher Frage sich die Kampagne für eine »Tobin-Tax« künftig auseinandersetzen muß: Will man wirklich Sand ins Getriebe der Finanzwelt streuen und sich mit der globalen Finanz-, Handels- und Investitionsordnung anlegen, um ein gerechteres System zu erzwingen? Oder beschränkt man sich darauf, von den Billionen täglich umgesetzten Spekulationskapitals ein Promille abzuschöpfen, um jedoch insgesamt die globale Finanzordnung zu stabilisieren?
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Was ist die Tobin-Steuer?

Auch als Devisenumsatzsteuer bezeichnet soll sie all jene internationalen Geldströme besteuern, die spekulativen Charakter haben. Man versucht bei diesen sehr kurzfristigen Spekulationen von Wechselkursschwankungen zu profitieren. Überweist man nur Geld, findet keine Taxierung statt. Legt man es hingegen in ausländischen Währungen an und hofft auf Gewinne aus Wechselkursschwankungen, dann werden - je nach Konzeption der bis heute nur theoretischen Steuer - zwischen 0,1 und 0,5 Prozent fällig.
Ihren Namen verdankt die Steuer dem Wirtschaftswissenschaftler James Tobin, der 1972 den Vorschlag das erste Mal einbrachte. Diskutiert wird, wer das Geld einzieht, verwaltet und es verteilt. Trotz Unterstützung einzelner Parlamente und Regierungen sowie vieler Initiativen ist die Tobin-Steuer von einer Realisierung weit entfernt.

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