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Ilka Schröder

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Infotech | Denkpause 7 | 29.05.00

Schlimmer als die Atomtechnologie

Biodigitale Gesellschaft

Nachdem die horizontale Ausdehnung des freien Marktes vollendet ist, geht das Macht- und Geldstreben in die Tiefe der genetischen Substanz des Menschen. Weitgehend unbeachtet bleibt in der Öffentlichkeit, welche Folgen die Verknüpfung von Bio- und Informationstechnologie haben: Alles Lebendige wird digitalisiert, was digital ist, wird verlebendigt. Dabei ist es wenig hilfreich, allein die Patentierung anzugreifen.

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Vor Jahren waren es Kamerabilder auf Demonstrationen oder Fragebögen einer Volkszählung, die große Menschenmengen mobilisierten. Heute schweigt die Öffentlichkeit fast gänzlich, obwohl sich durch den bio- und informationstechnologischen Fortschritt die Überwachungs-Bedrohungen potenziert haben.

Die Gefahren der »friedlichen Nutzung« der Atomenergie wurden bei deren Erforschung nur von wenigen erkannt. Der Atom-Lobby gelang es durch eine Lügenkampagne (»Stromzähler werden abgeschafft, weil das Ablesen teurer als der Verbrauch ist«), den Widerstand stark zu verzögern. Nach der Brüsseler EXPO von 1958, deren Wahrzeichen ein Atommodell war, dauerte es noch fast 20 Jahre bis zu den ersten Massendemonstrationen gegen das Atomprogramm. Ein Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie ist zwar - einen politischen Willen vorausgesetzt - möglich, das Wissen um die Todestechnologie und strahlender Atommüll wird aber auf Dauer vorhanden bleiben. Das Gleiche in grün erleben wir heute erneut: Auf der EXPO 2000 in Hannover wird den Menschen der biodigitale Kapitalismus schmackhaft gemacht. Die gesamte Biosphäre - inclusive des menschlichen Individuums - wird unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Verwertbarkeit seiner genetischen Substanz ent-»eignet« und entweder privat patentiert oder der globalen kapitalistischen Konkurrenz als Allgemeingut zum Fraß vorgeworfen. Leben wird in atemberaubender Geschwindigkeit zum Rohstoff-Warenlager mit genau definierten Eigentumsrechten zurechtgebogen. So wie es bei Durchsetzung des Atomprogramms für Linksliberale schick war, gegen die militärische Nutzung einzutreten, sprechen sich VertreterInnen der »Neuen Mitte« und Linksliberale heute gegen die Patentierung der Geninformationen aus.

Grundlage des neuen biodigitalen Kapitalismus sind zwei Geschwister aus dem neoliberalen Theorie-Baukasten: 1. Patentierbare geistige Eigentumsrechte und 2. das Menschheitserbe. In der aktuellen Diskussion erscheinen sie wie zwei fundamentale Gegensätze. Craig Venter, der mit seiner Firma Celera am Genom forscht, vertritt das Konzept vom Leben als patentierbare Erfindung.

Das »Human-Genome-Project« (HUGO), Clinton und Blair sowie die Kampagne »Kein Patent auf Leben« vertreten dagegen die Ansicht das Leben sei ein vor Besitzansprüchen zu schützendes Menschheitserbe. Damit variieren sie das alte nationalliberale Konzept des »Allgemeingutes«. In der liberalen wie neoliberalen Vorstellungswelt ist »Allgemeingut« eine unentbehrliche Quelle für Eigentumsrechte. Die Zugehörigkeit zum Allgemeingut bestimmt, was zur Ressource wird - und damit auch als Rohstoff gelten kann. Der Wirtschafts- und Warenwert einer Idee oder Formel, eines Musikstücks, Baumes, Organs, Gens oder Gehirnstroms beginnt nicht erst mit dem Marktwert an der Börse. Nicht erst Patentierung oder Urheberrechtsschutz leiten die Kommerzialisierung ein - schon die gedankliche Zuordnung zum Allgemeingut macht sie zum Rohstofflager.

Auch Greenpeace steht für das Konzept »Allgemeingut«: »Moralisch brisanter ist es aber, daß letztlich eine kleine Zahl von Gentech-Konzernen darüber entscheidet… Sie allein bestimmen, ob Lizenzen an Forscher oder Konkurrenten vergeben werden - und zu welchem Preis.« Nicht mehr diskutiert wird hier die Frage, ob biodigitale Methoden gewollt, nützlich, in ihren Folgen abschätzbar und ethisch zu vertreten sind.

Die Zerlegung, Bestimmung, Isolierung und Veränderung der Geninformationen für ihre Verwertung erfolgt mit Hilfe der biologisierten Informationstechnologie. Auf Datenbanken geladen, sind sie dort per Mausklick verfügbar und verwertbar. Für die innere Sicherheit ist der genetische Fingerabdruck eine beliebte Ermittlunghilfe. Das Amtsgericht Braunschweig ordnete schon 1981 eine DNS-Analyse an - Begründung: »antifaschistisch aktiv«.

TechnikfanatikerInnen, die sich der Bewegung des »Transhumanismus« zugehörig fühlen, träumen bereits von der serienmäßigen PC-Schnittstelle am Kopf des Menschen. Am Georgia Institut of Technology, USA, arbeitet man fieberhaft am »Leben aus dem Baukasten«. Ziel ist es, lebende Nervenzellen mit Siliziumschaltkreisen zu verbinden. Mit diesem Versuch konnte eine gehirnähnliche Funktion simuliert werden. Die Technologie, die für die Verbindung zwischen den Nervenzellen und dem PC zuständig ist, nennt sich »Wetware«. In diesem Jahr ist es erstmals gelungen, eine Verbindung zwischen menschlichen Zellen und Computerschaltkreisen herzustellen. Der Prototyp eines »Digital Angel« soll im Herbst vorgestellt werden. Das digitale Implantat ist eine Datenübermittlungseinheit. Per Satellit ist die TrägerIn jederzeit lokalisierbar.

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Zum Weiterlesen:

The Human Genome Organisation:
www.gene.ucl.ac.uk/hugo/

Greenpeace:
www.greenpeace.de/GP_SYSTEM/11U1E5CD.HTM

Mit Kapital- und Überwachungsinteressen, sowie genetischer Diskriminierung befaßt sich ein sehr empfehlenswerter Artikel von Andreas Hechler im Online-Magazin »Ornament & Verbrechen«: www.ornament-und-verbrechen.de/neoliberlismus0400.html

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