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Ilka Schröder

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Menschenrechte | Denkpause 8 | 24.07.00

Europa ist beim Schnüffeln immer mit dabei

EU-Polizei im
Machtrausch

Europas Regierungen versuchen die News über »Echelon« herunterzuspielen. Das ist kein Wunder: Bei einer ernsthaften Diskussion über Überwachung käme auch die europäische Praxis ins Gespräch. Gerade auf diesem Kontinent wird nämlich seit Jahren ein Grundrecht nach dem anderen gestrichen. Polizei und Geheimdienste agieren im Dickicht undurchsichtiger Direktiven, um Menschen zu überwachen.

[Ilka Schröder fordert | Weitere Informationen]

Das Europäische Parlament entpuppte sich mal wieder als zahnlos. Die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der »Echelon-Affäre« wurde abgelehnt.
Konservative, SozialdemokratInnen und Liberale stimmten gegen das Gremium. Das Überwachungssystem des US-Geheimdienstes NSA, mit dem der weltweite Telefon-, Fax- und eMail-Verkehr abgehört wird, soll nun von einem sogenannten nicht-ständigen Ausschuß untersucht werden, dem ich angehöre. Dieser hat nicht einmal das Recht hat, ZeugInnen vorzuladen.
Überraschend ist dieses Ergebnis nicht; die großen Parteien haben kein Interesse daran, die Themen Geheimdienste und Überwachung breit zu diskutieren. Zu viel könnte über die eigenen Aktivitäten der EuropäerInnen einer größeren Öffentlichkeit bekannt werden. Großbritannien beispielsweise ist schon seit der Etablierung des Systems Echelon an diesem beteiligt. Irland tritt laut dem investigativen irischen Magazin »Phoenix« gerade bei, und die Niederlande haben zumindest enge Kontakte zum US-Geheimdienst. Deutschland besitzt Überwachungsstationen im spanischen Coril und im Pamir-Gebirge an der chinesich-afghanischen Grenze. Auch Dänemark, die Niederlande und die Schweiz besitzen eigene Abhörstationen. Sogar das über Echelon besonders echauffierte Frankreich kann sich nicht beklagen. Das Land besitzt ein eigenes Satelliten-Abhörsystem. Die Bodenstation in Domme im Distrikt Bordeaux ist Europas drittgrößte elektronische Spionagestation. Überwachung geht aber nicht nur von Nachrichtendiensten aus. Gerade in Europa wird diese Tätigkeit zunehmend von der Polizei erledigt. In verschiedenen Beschlüssen des Europäischen Parlaments (u.a. Rechtshilfeabkommen, Kinderpornographie im Internet, Harmonisierung der Asylpolitik) werden die Kompetenzen von Europol ausgeweitet.
Auch die Zusammenarbeit mit den vermeintlich geschmähten USA ist dabei kein Problem - zum Beispiel im Rahmen der G8-Konferenzen. Nach einem Vorbereitungstreffen von Regierungsbeamten, hochrangigen PolizeivertreterInnen und Industriebossen im Mai in Paris, kommen Ende Juli in Okinawa (Japan) die Staatschefs der sieben wichtigsten Industrieländer und Rußlands zusammen. Thema: Aktionen gegen Cybercrime. Die Verlautbarungen dazu schlagen alle denselben Tenor an: Anonymität im Internet ist gefährlich. Geheimdienste und Polizei sollen einen problemlosen Zugriff auf alle privaten und geschäftlichen Mails bekommen.
Wesentlich weniger bekannt, aber dafür effektiver als die G8-Gipfel, ist ILETS, das International Law Enforcement Telecommunications Seminar. 1993 wurde die Gruppe das erste Mal vom FBI im Militärstützpunkt Quantico nur 50 Kilometer entfernt von Washington, DC einberufen. Seitdem trafen sich die US-amerikanischen sowie europäischen VertreterInnen von Nachrichtendiensten und Strafverfolgungsbehörden regelmäßig, um die Zukunft der Überwachung zu planen. Maßgeblich an der Ausformulierung der Ideen beteiligt sind das FBI und - dahinter stehend - die NSA. Umgesetzt werden sie aber vor allem in Europa.
Unter dem Namen Enfopol gingen die Vorschläge an den Europäischen Rat und wurden - zumindest noch Anfang der Neunziger Jahre - pflichtschuldigst umgesetzt. Erst beim Dokument ENFOPOL 98, das eine grenzüberschreitende Überwachung von Anrufen im Fest- und Mobilfunknetz, von Faxen und e-Mails vorsah, konnte durch eine frühzeitige Information der Öffentlichkeit und breiten Protest das Schlimmste verhindert werden.
Das heißt aber nicht, daß die verbeamteten Spitzel Ruhe geben würden. In diesem und im nächsten Jahr soll der Rundumschlag folgen:
Am 27. April wurde ein erster Entwurf der sogenannten »Convention on Cybercrime« des Europäischen Rates veröffentlicht. Aus dem Paket stechen einzelne Maßnahmen besonders hervor: Service Provider sollen gezwungen werden, persönliche Daten von ihren Kunden zu erheben und gegebenenfalls Strafermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Ein Recht auf Anonymität oder Sicherheit vor staatlicher Überwachung wäre damit ausgeschlossen.
Ein US-Gesetz, das Links auf verbotene Seiten unter Strafe stellt, soll internationalisiert werden. Und nicht zuletzt ermächtigt die Convention Strafverfolgungsbehörden, Angeklagte dazu zu zwingen, Paßwörter zu ihren e-MailKonten oder Festplatten freizugeben. Dieser Teil der Convention widerspricht klar dem Grundrecht, daß Angeklagte sich nicht selbst belasten müssen und ist bisher weltweit auch nur in Malaysia und Singapur geltendes Recht. Stark beteiligt an der Formulierung der Cybercrime Convention sind NSA und FBI. Verabschiedet werden soll das Dokument im kommenden Jahr aber zuerst vom Europäischen Rat, also von den EU-Staats- und Regierungschefs, bevor es dann von den Regierungen der 15 Mitgliedsländer abgesegnet wird. Später sollen andere Staaten ebenfalls beitreten können.
Ebenfalls weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit wurde gerade eine andere Maßnahme umgesetzt. Das European Telecommunications Standard Institute (ETSI) beschloß die Richtlinie ES 201-671: »Intelligent Networks (IN): Lawful Interception«. Es handelt sich dabei um den Standard, der in zukünftige Telekommunikationseinrichtungen eingebaut wird und Polizei sowie Geheimdiensten sogenannte »Einbruchstellen« zur Überwachung verschaffen soll. Vorgesehen ist der Zugriff auf alle Daten von Mobil- und Festnetztelefonaten, SMS-Nachrichten und Internettelefonaten.
Ob es allerdings bei Polizei und Geheimdienst bleibt oder auch andere Personen von den »Einbruchstellen« Gebrauch machen, ist nicht geklärt.
Der Standard bedeutet ein leichtes Spiel für alle InteressentInnen und läßt die NutzerInnen samt der Grundrechte im Regen stehen.

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[Privacy] Ilka Schröder fordert:

  • Abschaffung aller Geheimdienste
  • Offenlegung aller Akten zum Thema Überwachung
  • Etablierung eines umfassenden Rechts auf Anonymität und informationelle Selbstbestimmung

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Zum Weiterlesen:

ILETS:
International Law Enforcement Telecommunications Seminar. Regelmäßiges Treffen der Strafverfolgungsbehörden verschiedener Länder. Einberufen 1993 von FBI und NSA fand es bis 1997 jährlich an verschiedenen Orten weltweit - u.a. 1994 in Bonn - statt. Auf diesen Treffen wurden die Konzepte für Überwachungsmaßnahmen geschrieben, die heute umgesetzt werden.

ENFOPOL:
Eigentlich nur ein Mantelbegriff der europäischen Union für Maßnahmen der Polizei zur »Inneren Sicherheit«. Allerdings wurden unter diesem Namen auch die meisten EU-Schnüffel-Richtlinien erlassen.

Convention on
Cybercrime:

Dokument, das Ende 2000 vom Europarat verabschiedet werden soll und die Grundlage für weltweite Gesetze gegen die Freiheit im Internet bilden soll. Nach den 41 Europaratsstaaten sollen auch die USA, Kanada, Südafrika und schließlich der Rest der Welt beitreten.

ETSI:
European Telecommunication Standards Institute: Standardisierungsgremium, daß ähnlich wie das deutsche DIN-Institut funktioniert. ETSI setzt die technischen Standards, die für die gesamte europäische Telekommunikation gelten.

Cryptome
jya.org:
Exzellente Site mit allen Nachrichten und vielen Hintergründen über die Welt der elektronischen Überwachung und Geheimdienste. (Englisch)

Echelonwatch
www.echelonwatch.org:
Gemeinsame Site der American Civil Liberties Union, des Electronic Privacy Information Centers, Cyber-Rights and Cyber-Liberties sowie der Omega Foundation mit vielen Ressourcen zum Thema Echelon (Englisch)

Karte der Überwachungsstationen:
in Deutschland auf der Homepage der Journalistin Christiane Schulzki-Haddouti, members.aol.com/infowelt/abhoer.htm

Enfopol-Dokumente:
www.heise.de/tp/deutsch/special/enfo/default.html
ZDnet-News-Special über Echelon:
www.zdnet.de/news/report/echelon/echelon-wc.html

Statewatch
www.statewatch.org/
Sehr gute NGO-Site über Polizei, Geheimdienste, Immigration usw.

Die Studien über europäische Überwachungspolitik im Auftrag des wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments als PDF-Dateien: www.ilka.org/themen/infotech2.html oder das zentralste Dokument auch unter
www.gn.apc.org/duncan/stoa.htm

Ilka Schröder zu Überwachungstechnologien
www.ilka.org/themen/infotech.html

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