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Ilka Schröder

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Offener Brief (PDF)

an die Koordinatoren der sog. "Working Group" des Europäischen Parlaments über die Verwendung der EU-Hilfen für die Palästinensischen Autonomiegebiete

Die Mittäterschaft des Parlaments beenden!

Brüssel, 19.02.2004

Sehr geehrte Frau Theato,
sehr geehrter Herr Laschet,
sehr geehrter Herr Wynn,

es ist allseits bekannt, dass EU-Finanzhilfen für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in schwarze Kassen geflossen sind. Es ist ebenso bekannt, dass die PA einen brutalen antisemitischen Terrorkrieg gegen Israel finanziert hat. Israel hat entsprechendes Beweismaterial bereits im Sommer 2002 an die Kommission weitergeleitet. Seitdem behauptet die Kommission, nichts von einer solchen Verwendung zu wissen, und die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden hat erfolgreich verhindert, dass ein Untersuchungsausschuss zu diesem Thema eingesetzt wurde. Ihre "Working Group" wurde installiert, damit das Thema nicht wichtig wird. OLAF, die Anti-Betrugsbehörde der EU, begann eine Untersuchung.
In den letzten Wochen haben mehrere deutsche und österreichische Zeitungen darüber berichtet, dass Inspektoren von OLAF nach Israel und in die Autonomiegebiete geschickt wurden. Es wurde weiterhin berichtet, dass selbst das Untersuchungsteam von OLAF nicht leugnen kann, dass die israelischen Vorwürfe der Wahrheit entsprechen.

Markus Ferber (PPE, Deutschland) wurde in der deutschen Tageszeitung "Die Welt" (30.01.2004) zitiert, er denke, der Rücktritt von Außenkommissar Patten aufgrund der OLAF-Untersuchung sei "durchaus möglich". Johannes Swoboda (PSE, Österreich), der die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses bekämpft hat, wurde in der österreichischen Zeitung "Die Presse" am 03.02. 2004 zitiert: "Es gibt Hinweise, dass Hilfsgelder der EU indirekt in den Nahbereich terroristischer Organisationen geflossen sind." Nur ein paar Tage später wurde Herr Laschet selbst ebenfalls in der "Welt" zitiert, "dass die Zahlung von pauschalen Haushaltshilfen der EU an die Arafat-Behörde ein großer Fehler war, ist offensichtlich." Im Gegensatz dazu berichtete gestern die französische Zeitung "La Libération ", das Ergebnis des "vertraulichen" Berichts sei, dass es keine Verwendung von EU-Mitteln für Terrorattacken gegeben habe. Liest man den entsprechenden Artikel nüchtern, so scheint es, als ob der kommende Bericht von OLAF nur ein schlechtes Recycling der Antworten von Außenkommissar Patten sein wird. Lassen Sie mich, ohne ins Detail zu gehen, noch einmal feststellen: Es ist falsch, dass der IWF den Haushalt der PA kontrolliert - das kann man in jeder IWF-Publikation nachlesen. Es ist bekannt, dass nicht einmal der palästinensische Finanzminister bis Ende 2002 eine Übersicht hatte, wohin und woher Gelder flossen. Es ist bekannt, dass die Al-Aqsa-Brigaden eng mit der Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Arafat verbunden sind und mehrere Selbstmordanschläge gegen Israelis begangen haben. Es ist bekannt, dass nicht nur Schulbücher, sondern auch Rundfunk- und Fernsehstationen, Reden von staatlich bezahlten Predigern und offizielle und offiziöse Zeitungen Hass auf Israel und antisemitische Klischees verbreiten.
Sollte OLAF dies nicht wissen oder nicht in der Lage sein, aus diesen Fakten die logische Schlussfolgerung zu ziehen — dann ist OLAF, wie ich bereits im Februar 2003 erklärt
habe, die falsche Institution, um diese Vorgänge zu untersuchen. Politische Skandale lassen sich selten mit dem Taschenrechner aufklären.

Es wird viel geredet, aber es passiert nichts. Da Ihre famose "Working Group" unter Bruch der Geschäftsordnung dieses Parlaments hinter verschlossenen Türen tagt, ist mir nicht bekannt, ob, wann und wen Sie vorhaben, über Ihre Erkenntnisse zu informieren. Sollte es noch viel länger dauern, wird es zu spät sein für irgendwelche ernsthaften Konsequenzen und die Verschleierung und Vertuschung des Skandals kann weiter gehen. Denn im Juni 2004 wird bekanntermaßen ein neues Parlament gewählt. Die Tatsache, dass die Europäische Union zugelassen hat, dass ihre Hilfsgelder zur Ermordung israelischer Bürgerinnen und Bürger benutzt wurden, wird dann nur noch eine historische Debatte sein. Der Skandal, dass die EU indirekt Krieg gegen Israel geführt hat, wird dann nur noch eine Fußnote sein.

An dieser Rechnung ist etwas falsch: In diesen Skandal sind wesentlich mehr Leute verwickelt, als der in Pension gehende Außenkommissar Christopher Patten. Es ist auch nicht bloß die Kommission und ihre Verwaltung, die verantwortlich sind. Verantwortlich sind ebenso die an der entsprechenden Entscheidung beteiligten Fraktionsvorsitzenden José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra (PPE), Enrique Barón Crespo (PSE), Graham Watson (ELDR) und mein lieber Genosse Francis Wurtz (GUE/NGL), die alle zusammen — wieder einmal entgegen der Geschäftsordnung des EP — den Antrag auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses niederstimmten. Verantwortlich ist ebenso Hans-Gert Pöttering (PPE), der an der Sitzung teilnahm, aber nichts dazu sagte, und Daniel Cohn-Bendit (Grüne/EFA), der nicht an der Sitzung teilnahm, und auch nichts sagte — beide haben diesen Bruch der Geschäftsordnung nicht verhindert, auch nach einer formellen Beschwerde an Präsident Patrick Cox nicht. Verantwortlich ist auch der Europäische Rechnungshof, den ich selbst besucht und informiert habe — und der, soweit man weiß, bis heute nichts in dieser Angelegenheit unternommen hat. Teil des Skandals sind auch Sie und Ihre "Working Group": Was haben Sie und Ihre Kollegen eigentlich hinter verschlossenen Türen gemacht? Was werden die Ergebnisse Ihrer Arbeit sein, wenn Sie im März 2004 nach Israel und die Autonomiegebiete fahren? Und man kann, nein, man muss fragen, warum OLAF so lange gebraucht hat, eine Untersuchung einzuleiten (OLAF begann im Februar 2003, Israel sandte die Beweis allerdings bereits im Sommer 2002).

Viele von denjenigen, die in diesem Skandal eine unrühmliche Rolle gespielt haben, wollen wiedergewählt werden, manche werden auch nach Juni 2004 in Amt und Würden sein. Darum schlage ich vor:

  • Dass das Parlament verlangt, dass OLAF seinen ersten vertraulichen Bericht, von dem so viel in der Presse zu lesen war, endlich an alle Mitglieder des Europäischen Parlaments weiterleitet.
  • Dass die "Working Group" bis Ende Februar 2004 allen MEPs die Ergebnisse ihrer "Untersuchung" mitteilt.
  • Dass im Fall, dass die israelischen Vorwürfe begründet sind — und ich habe nicht den Schatten eines Zweifels, dass dies das Ergebnis jeder ernsthaften Untersuchung wäre — alle Mitglieder der Kommission und Präsident Cox öffentlich die Verantwortung für die bisherige Verschleppung und Untersuchung des Skandals, dass mit EU-Mitteln israelische Bürger ermordet wurden, übernehmen und zurücktreten.
  • Dass sich das EP öffentlich entschuldigt und die fatale Rolle der EU im Nahost-Konflikt öffentlich eingesteht. (Das wird es Opfern und Hinterbliebenen leichter machen, die EU auf Schadensersatz zu verklagen.)

Sie alle als Koordinatoren jener Working Group, die jede ernsthafte Untersuchung verhindern sollte, haben nun eine - letzte - gute Gelegenheit, verantwortungsvoll zu handeln. Ich hoffe, dass Sie das tun werden.

Mit kollegialen Grüßen,

Ilka Schröder

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