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Ilka Schröder

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Datum: 27.6.1999
Autorin: MAREN PETERS
Quelle: Der Tagesspiegel

Rucksack geschultert und ab ins Parlament

Ilka Schröder ist 21 Jahre alt, Berlinerin und Europaabgeordnete. In Brüssel halten sie viele für eine Praktikantin

VON MAREN PETERS

Als Ilka Schröder um Viertel nach eins aus der Drehtür des neuen Parlamentsgebäudes in der Brüsseler Rue du Remarqueur eilt, sieht die sonst so muntere 21jährige arg mitgenommen aus. »Ich muß gleich noch bei der Fraktion vorbei«, sagt sie. »Und um 14 Uhr ist noch eine Besprechung. Aus dem Mittagessen wird wohl nichts. Das hab' ich gestern ein bißchen falsch eingeschätzt.« Die Berliner Europaabgeordnete klemmt ihren abgewetzten Leitz-Ordner und die Stoff-Federtasche unter den Arm und eilt in ihrer ausgebeulten hellgrauen Jeans, dem karierten Flauschhemd und ihrem lässig um den Bauch gebundenen Sweatshirt vorbei am Sicherheitspersonal, den Herren in grauen Anzügen und Damen in kurzen Kostümen, quer durch die Empfangshalle zum Fahrstuhl.
Noch sieht man ihr an, daß sie bis vor nicht allzu langer Zeit noch Studentin der Wirtschaftswissenschaften war. »Ich muß wohl mal einkaufen gehen«, sagt sie und kneift die ungeschminkten Augen lachend zusammen. Noch war dazu keine Zeit. Ilka Schröder fährt in die dritte Etage des riesigen neuen Parlamentsgebäudes, läuft vorbei an Hunderten von Postfächern, biegt routiniert nach links ab zu Gebäudetrakt »C«, wo die Fraktion der Grünen zu Hause ist. Auf dem Weg trifft sie unter einigen Bekannten auch Sabine, eine Fraktionsmitarbeiterin, bei der sie in der vergangenen Nacht geschlafen hat. Auch für die Wohnungssuche war noch keine Zeit. Die Begrüßung ist herzlich, die meisten kennt sie schon von ihrer Arbeit im Vorstand der Federation of Young Europeen Greens. Küßchen, Umarmung. Für kurze Zeit weicht die Spannung aus dem blassen Gesicht der schmalgebauten Europaabgeordneten.
Gerade hat sie ihre erste zweistündige Sitzung in Brüssel hinter sich gebracht - und mußte gleich heftige Prügel von der deutschen Fraktion einstecken. »So früh hätte ich das nicht erwartet«, sagt die 21jährige, die in Reinickendorf und Neukölln aufgewachsen ist, in Schöneberg ein WG-Zimmer hat und nun als jüngste deutsche Abgeordnete im Europaparlament in Brüssel sitzt. Mit ihrer konsequenten Absage an den Kosovo-Krieg und ihrer Opposition gegen den grünen Bundesaußenminister Joschka Fischer hat sie sich viele Feinde unter den Altgedienten der Partei gemacht. Allen voran Heide Rühle, die ehemalige Bundesgeschäftsführerin der Grünen, die jetzt als Kollegin im Europaparlament sitzt. »Sie ist als jugendliche Sympathieträgerin gewählt worden«, sagt Rühle am späten Abend auf einer Abschiedsparty für die belgische Grünen-Abgeordnete Magda Aelvoet. »Aber mit ihrer forschen Haltung wird sie's schwer haben. Ohne Fischer wäre sie doch gar nicht so weit gekommen.« Ilka Schröder weiß das - und ist trotzdem nicht bereit, Kompromisse einzugehen. »Ich muß doch sagen, was ich für richtig halte«, sagt sie mit der aufrechten Überzeugung einer Schülerzeitungsredakteurin, die gegen den Rektor wettert. Daß sie von vielen immer noch für die Praktikantin gehalten wird, nimmt sie gelassen. »Ich hoffe, daß das in einem Jahr anders ist«, sagt sie. »Erstmal will ich sehen, wie die Parlamentsarbeit funktioniert, dann will ich gukken, was ich verändern kann.«
Daß es ein anstrengendes Leben ist, auf das sie sich eingelassen hat, ist ihr schon jetzt bewußt. »Mein Arbeitstag ist meistens erst um zehn oder elf Uhr abend zuende«, sagt sie. »Politik wird ja oft in der Kneipe gemacht.« Und auch heute sieht es nicht nach frühem Feierabend aus. »Ist heute abend noch irgendwas?« Ilka Schröder schaut fragend auf den scheidenden Europa-Abgeordneten Wilfried Telkämper, dessen Büro im achten Stock des Parlamentsgebäudes sie bald erben wird. Auf der Eckcouch liegt ihr Tramper-Rucksack. Und bald auch ihr Schlafsack, denn für eine Übergangszeit will sie im Büro übernachten. Telkämper verweist auf eine Einladung der Europäischen Ratspräsidentschaft und einen Empfang der grünen Fraktion. »Da solltest du dich vielleicht blicken lassen«, rät er. Ilka Schröder geht trotzdem erstmal ins Nebenzimmer. Dort, wo in wenigen Wochen ihre Mitarbeiter arbeiten werden - auch die muß sie sich noch suchen. Im Moment sitzt dort noch Paul. Und der ist sichtlich genervt über die Störung. Schröder läßt sich den komplizierten Telefoncode erklären, den sie noch nicht im Kopf hat, greift zum Telefonhörer, wählt, lacht plötzlich wieder: »Hi, it's Ilka Schröder.« Von einer Sekunde auf die andere scheint alle Müdigkeit, die sich im Laufe des langen Sitzungstages angesammelt hat, von ihr abzufallen. Dem englischen Szene-Magazin »The Face« am anderen Ende der Leitung erklärt sie geduldig und in fließendem Englisch, wie sie zur Politik gekommen ist - wie sie das schon so oft in den letzten Tagen gemacht hat. Sie erzählt von der Fahrrad-Demonstration, die sie mit 14 Jahren von Berlin nach Magdeburg organisiert hat, von ihren kurzen Gefängnisaufenthalten vor zwei Jahren - unter anderem deshalb, weil sie gegen den EUGipfel in Amsteram demonstriert hatte. Das versteht der englischen Journalist nicht: Eine EU-Abgeordnete, die noch vor zwei Jahren gegen Europa demonstriert hat? »Meine Idee von Politik hat nichts mit Partei-Politik zu tun«, erklärt Ilka Schröder, »sondern eher damit, aktiv zu sein. I want to do good things.« Und wie sie da sitzt, in ihrem Baumwollhemd, den grauen Jeans, den deftigen, schwarzen Halbschuhen, nimmt man ihr das ohne weiteres ab.
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