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Ilka Schröder

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Datum: 21.07.2000
Autorin: Ilka Schröder
Quelle: Neues Deutschland

Brüsseler Spitzen

Das Europäische Parlament ist keine Quatschbude mehr: Der am 1. Mai 1999 in Kraft getretene Amsterdamer Vertrag hat seine Kompetenzen ausgeweitet. Waren es zuvor nur 15, sind es jetzt 38 Politikbereiche, für die es zu einer gesetzgebenden Einrichtung neben dem Rat geworden ist. Heute wird nicht mehr nur geredet und wirkungslos abgestimmt. Nach einem Jahr Abgeordnetentätigkeit in Brüssel und Strasbourg muss ich jedoch fragen, ob das Parlament seine Mitgestaltungschancen überhaupt nutzt. Und ob die herrschende Mehrheit einen Beitrag für ein radikaldemokratisches, friedliches und gerechtes Europa leistet.
Aus der Perspektive einer linken grünen Abgeordneten sind beide Fragen mit nein zu beantworten. Manchmal nickt eine erdrückende Parla mentsmehrheit Vorschläge aus anderen EU-Institutionen ohne kritische Debatte ab, ob nun in der Aufrüstungs- oder Außenhandelspolitik. Hier lassen die Abgeordneten der EUKommission und ihrem neoliberalen Außenhandelskommissar Pascal Lamy freie Hand. Als die Forderungen der EU an die letzte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle auf der Tagesordnung standen, gab es aus dem Parlament kaum kritische Stimmen. Ich hielt es für sinnvoller, auf den Straßen von Seattle die Zusammenarbeit mit linken sozialen Bewegungen zu suchen, statt im Büro zu sitzen und Änderungsanträge zu formulieren, die dann von der marktliberalen Parlamentsmehrheit abgeschmettert werden.
Gelegentlich kommt es aber doch vor, dass das Europaparlament Zähne zeigt. Wie im Februar, als in einer Anhörung eine Studie über das geheime amerikanisch-britische Spionagesystem Echelon vorgestellt wurde. Mit diesem System wird seit Jahren der Telefon-, Fax- und E-Mail-Verkehr in den EU-Staaten abgehört - ein massiver Angriff auf die Privatsphäre. Meine Fraktion gehörte zu denen, die für einen Untersuchungsausschuss zur Echelon-Affäre plädierten. Ich selbst wollte in dieser Auseinandersetzung zusätzlich aufzeigen, dass auch die EU-Staaten durch die Polizeibehörden ihre BürgerInnen bespitzeln. Die großen Fraktionen der Konservativen und der Sozialdemokraten haben es jedoch leider geschafft, die Abstimmung über eine Untersuchung so lange hinauszuzögern, bis das Thema fast wieder in der Schublade verschwunden wäre. Lediglich ein so genannter nicht-ständiger Ausschuss wurde gegründet - ohne konkretes Ziel und ohne das Recht, ZeugInnen vorzuladen.
Bisher stand das Europaparlament im Ruf, progressiver und näher an den Menschen zu sein als etwa die EUKommission. Mutige und klare Berichte über die Lage der Menschenrechte in den EU-Staaten etwa erregten Aufmerksamkeit. Das hat sich geändert. Aus links-grüner Perspektive ist festzustellen, dass die politischen Vorschläge der Kommission nicht selten weniger »schlimm« sind als jene des Parlaments. Das gilt besonders bei innen- sowie asyl- und flüchtlingspolitischen Fragen. So hat die Kommission kürzlich ein Konzept zur europäischen Regelung der Familienzusammenführung vorgelegt. Damit soll das Recht von Drittstaatsangehörigen, ihre Familien aus dem Ausland in ihr Wohnsitzland nachzuziehen, erweitert werden. Gerade für in Deutschland lebende MigrantInnen brächte das eine deutliche Verbesserung, denn die deutsche Regelung ist eine der restriktivsten und familienfeindlichsten.
Das Parlament dagegen treibt den Ausbau der europäischen Polizeibehörden und die Beschneidung der Grundrechte aktiv voran, während es die Festung Europa eifrig ausbaut. Einem Dokument zur Schaffung gemeinsamer Normen für Asylverfahren, das auf einen weiteren Abbau des Asylrechts und des Flüchtlingsschutzes hinausläuft, stimmte im Juni 2000 eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten zu. Selbst die Fraktion der Grünen und Abgeordnete der Vereinigten Linken begrüßten den Vorschlag. Mir geht es darum, wo immer ich kann, auf solche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen und auch außerparlamentarischen Druck gegen Militarismus und Abschottung zu unterstützen oder zu organisieren. Parlamentarische Arbeit ist für mich dann sinnvoll, wenn sie von linken sozialen Bewegungen und AkteurInnen nachvollziehbar ist und diese unterstützt.

Die 23-jährige Studentin Ilka Schröder sitzt seit dem Vorjahr für die Bündnisgrünen im Europaparlament

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