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Ilka Schröder

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Rede vom 29.05.2002 im Europäischen Parlament.

Neue Qualität beim staatlichen Abhören

Zur Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation erklärt Ilka Schröder, parteiloses Mitglied des Europäischen Parlaments (GUE/NGL), vor dem Europäischen Parlament:

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Sie werden sicher auch den Brief verschiedenster Bürgerrechtsgruppen erhalten haben, der sich mit dem zentralen Punkt dieser Direktive auseinandersetzt. Es geht darum, ob Data Retention, also die Speicherung von Gesprächsdaten, erlaubt sein soll. Dabei handelt es sich nicht nur um einen Vorstoß für etwas mehr Überwachung, sondern um eine neue Qualität beim staatlichen Abhören. Bisher hatten Polizei und andere legalen Zugriff nur auf das, was ab dem Zeitpunkt der Überwachung gesprochen oder geschrieben wird. Mit diesem Papier soll die Möglichkeit eingeführt werden, Kommunikation rückwirkend abzugreifen – und damit auch rückwirkend Grundrechte einzuschränken. Das ist die neue Qualität des Sicherheitsstaates, die genau auf den Abbau von Privatsphäre abzielt.

Denn was passiert etwa mit den Daten, die der Staat über Sie und Ihre Surf-Vorlieben gesammelt hat? Die Daten werden gesammelt und gespeichert. Sie werden an die nächste Regierung weitergegeben. Ob dann Le Pen, Haider oder Rasmussen darauf Zugriff haben oder nur die normalen obrigkeitsstaatlichen Sozialdemokraten, weiß niemand. Schließlich war auch vor dem 11.9. keinem klar, wie hier mit Einverständnis westlicher Demokraten Grundrechte abgebaut werden können.

In Deutschland gibt es Erfahrungen mit solchen präventiven Grundrechtseinschränkungen. Der Radikalenerlass hat Betroffenen nicht illegale Taten zum Vorwurf gemacht, sondern lediglich von der Regierung Unerwünschtes. Wenn ich mir heute Daten über Rechtsradikalismus aus dem Netz ziehe und dafür morgen meinen Beamtenjob verliere, dann wird das auch wegen dieser heute diskutierten Richtlinie passieren.

Auf diesem Papier steht noch Datenschutz drauf - obwohl keiner mehr drin ist. Bleibt nur noch die Frage offen, welchen Titel der geplante Vorstoß des Rates tragen wird, der Data Retention EU-weit vorschreibt. Für diesen Vorstoß zum Ausbau des europaweiten Abhörstaates wird mit der heute diskutierten Richtlinie der Weg bereitet.

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