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Ilka Schröder

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Denkpause 17 | 25.03.02

Mit Copyright und Patenten gegen
Selbstbestimmung und Privatsphäre

Patentrezepte für die Überwachung

Immer dichter wird das Netz von Vorschriften zur Patentierung und zur urheberrechtlichen Unzugänglichmachung digitaler Informationen gewoben, immer härter werden diejenigen bestraft, die sich dagegen zur Wehr setzen. Das soll der Contents-Industrie zu Gewinnen aus dem Internet verhelfen - und Überwachungsbehörden zum Zugriff auf die Festplatten der Computer-NutzerInnen.

Sie kaufen ein Buch. Anschließend ist es Ihnen verboten das Buch zu verleihen oder weiter zu verkaufen, es sich vorlesen zu lassen, Teile davon abzuschreiben oder auch nur, es in ein anderes Regal zu stellen. Nach einer bestimmten Zeit zerstört sich das Buch selbst.

Klingt nach einem totalen Kontroll-Staat wie in Ray Bradburys Klassiker »Fahrenheit 451«, wo Einsatztrupps Häuser von LeserInnen stürmen, um illegale Bücher zu verbrennen? Für die BenutzerInnen so genannter »eBooks« ist dergleichen bereits Realität. Und wenn Planungen der Europäischen Union umgesetzt werden, dann könnte es bald gesetzlicher Standard sein:

Am 06.03.2002 trat der weltweite WIPO-Urheberrechtsvertrag in Kraft. Die 1996 ausgehandelte Vereinbarung hat sich nicht weniger vorgenommen, als »das Copyright ins digitale Zeitalter zu bringen« und deckt neben Kunst, Literatur und Filmen auch Computer-Software ab. Die Unterzeichner-Staaten verpflichten sich, gegen so genannte »Internet-Piraterie« vorzugehen, indem sie »unautorisiertes Kopieren und Benützen von Werken verhindern und die Zahlung von Tantiemen sicherstellen«.

Der WIPO-Vertrag war die Initialzündung für eine ganze Reihe von ähnlichen Verträgen und Gesetzeswerken auf verschiedenen Ebenen (siehe Kasten Seite 5), die ein Ziel gemeinsam haben: NutzerInnen von Computern und Internet insoweit die Verfügungsgewalt über ihr Gerät zu entziehen, als verhindert werden soll, dass sie es benützen, um Copyright-geschützte Werke zu kopieren, weiterzugeben oder auch nur zu konsumieren.

Bislang hat noch kein EU-Staat den WIPO-Vertrag unterzeichnet, dafür ist die EU mit der Umsetzung bereits vorgeprescht. Schon im Juni 2001 trat mit ausdrücklicher Bezugnahme auf den WIPO-Vertrag die EU-Direktive 2001/29/EG »Zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft« in Kraft. Auch hier geht es darum, wie verhindert werden kann, dass NutzerInnen geistige Erzeugnisse kopieren, selbst dann, wenn sie diese legal erworben haben. Die Direktive geht noch einen Schritt weiter als der WIPO-Vertrag, indem sie konkret vorschreibt, dass dieser Kopierschutz auf technischem Weg zu erfolgen hat: In Artikel 6 (»Pflichten in Bezug auf technische Maßnahmen«) verpflichten sich die Mitgliedstaaten, jedeN zu bestrafen, der wissentlich technischen Kopierschutz umgeht.

Nicht mehr das Urheberrecht wird hier harmonisiert - wie es im Titel heißt -, sondern es wird ein rechtlicher Rahmen für das von der Industrie so genannte »Digital Rights Management« geschaffen. Darunter versteht man Systeme, die den Zugang zu solchen Informationen sperren, die ihrer Meinung nach aus urheberrechtlichen Gründen nicht zugänglich sein dürfen. Abgesehen davon, dass auf diese Weise die NutzerInnen von technischem Gerät entmündigt werden, lässt sich dasselbe Mittel auch für eine unaufwändige Form der Zensur benützen: Ein Staat muss lediglich die Urheberrechte für ein Werk erwerben - so wie etwa der Freistaat Bayern die Rechte an Hitlers »Mein Kampf« hält - und schon wird Standard-Software auf der ganzen Welt den Zugriff verweigern.

Viel häufiger wird es freilich vorkommen, dass man diskret zur Zahlung einer angemessenen Geldsumme aufgefordert wird, um eine bestimmte Datei freizuschalten. Die Erwartung, dass Information die Ware der Zukunft schlechthin sein wird, ist vielleicht das letzte Überbleibsel der Internet-Euphorie der späten neunziger Jahre. Und im Standort-Wettbewerb um die Vermarktung dieser Ware möchte die EU ganz vorne mitspielen. Hat man sich doch nichts Geringeres vorgenommen, als »die wettbewerbsfähigste wissensbasierte Gesellschaft der Welt« zu werden.

Das Problem an der Sache: Das Internet fördert von seiner Struktur her eher den freien Austausch von Informationen als deren Vermarktung, zu deren Voraussetzungen ja gerade die Knappheit der Ware Information gehören würde. Also muss man die Ware künstlich verknappen, wenn aus der Info-Schwemme eine Geld-Lawine werden soll. Das lässt sich aber nur mit Repression und Eingriffen ins Privatleben bewerkstelligen.

Dabei kann man auf eine Ausweitung des Eigentumbegriffes zurückgreifen, die sich stufenweise während der letzten 200 Jahre vollzogen hat: Nachdem man im Frühkapitalismus unter Eigentum lediglich materielle Dinge - Gegenstände und Immobilien - verstanden hatte, führte die Errichtung eines zunächst national, dann zunehmend transnational organisierten Patent- und Urheberrechtsregimes ab Ende des 18. Jahrhunderts zur Etablierung von so genanntem geistigen Eigentum.

Ursprünglich konnte Copyright nur für die Gesamtheit eines Werkes geltend gemacht werden: für ein Gemälde oder einen Musiktitel. In der Folge wurde das Copyright jedoch immer stärker ausgeweitet, und heute kann eine Musikernn schon Schwierigkeiten bekommen, wenn sie nur eine Viertelsekunde eines Tracks sampelt.

Dieselbe Entwicklung ist bei den Patenten zu beobachten: Zunächst waren nur bedeutende technische Neuerungen oder grundlegend neue Ideen patentierbar; nach dem Zweiten Weltkrieg wurden jedoch immer kleinere Bestandteile immer komplexerer Systeme patentiert. Immer häufiger kommt es vor, dass mehrere Patent-InhaberInnen Patente auf dasselbe technische Detail besitzen, weil die Systeme so komplex geworden sind, dass selbst die SpezialistInnen der Patentämter nicht mehr durchblicken. Neuerdings gelten sogar Gen-Sequenzen als patentierbar, wobei diese bekanntermaßen keine Erfindungen mehr sind, sondern Entdeckungen.

Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich bei Computer-Software, seit die Europäische Kommission im Februar den Entwurf für eine Direktive über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen vorgelegt hat. Bisher war Computer-Software - um die geht es hier nämlich im wesentlichen - vom europäischen wie von den nationalen Patent-Regimen ausgenommen, und zwar aus gutem Grund: Computer-Programme sind zusammengesetzt aus oft Tausenden von Algorithmen, kleinen, in einander greifenden Rechenoperationen. Viele dieser Algorithmen sind weit verbreitet; sie gelten gewissermaßen als Standard-Lösungen für Standard-Probleme. Würde ein Konzern massenhaft solche Algorithmen patentieren, könnte er damit nach und nach allen anderen das Wasser abdrehen. Und das beträfe nicht nur die Konkurrenz, sondern auch EntwicklerInnen, die ohne Lohn Freie Software programmieren, die sie dann der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Für Projekte wie GNU/Linux könnte das langfristig das Aus bedeuten.

Damit wäre man dem Ziel wieder einen Schritt näher gekommen, dass auf den Computern der BenutzerInnen nur noch Software läuft, die dem immer enger verschmelzenden industriell-politischen Komplex aus Überwachungs- und StandortpolitikerInnen einerseits sowie vielen Unternehmen der IT-Branche andererseits entstammt. Denn, auch wenn die EU-Kommission öffentlichkeitswirksam immer wieder mit einem Kartellverfahren gegen den Quasi-Monopolisten für Betriebssysteme droht: Auf Treffen, bei denen über Themen diskutiert wird, die beiden Seiten so am Herzen liegen wie Software-Piraterie oder die Überwachung des Internet, findet man die KommissionsbeamtInnen dann wieder traulich Seit’ an Seit’ mit den Abgesandten der IT-Industrie. Wie eng die Zusammenarbeit sein kann, zeigte eine Entwurfsfassung der Richtlinie zur Software-Patentierung, die vor einigen Wochen in Brüssel kursierte: Die Word-Datei war zuletzt vom Brüsseler Geschäftsträger der »Business Software Alliance« bearbeitet worden, des Dachverbandes, in dem alle Großen der Branche organisiert sind.


Kritische Links und Informationen zur EU-Copyright-Direktive

Links zu Software-Patenten von der League for Programming Freedom

Der fast schon legendäre Aufsatz »Why Patents Are Bad for Software« von Simon Garfinkel, Richard Stallman und Mitchell Kapor

»Saving Europe from Software Patents«, noch ein Aufsatz von Richard Stallman

Versucht, Druck zu machen gegen Software-Patente in der EU und anderswo: http://www.freepatents.org/

Ilka Schröder zu Patenten auf Leben und Biopiraterie

Ilka Schröder zur biodigitalen Gesellschaft

Ilka Schröder zur Privacy im Internet


Wussten Sie schon?
In Kanada soll demnächst eine Sondersteuer von 21 kanadischen Dollar (ca. 15 Euro) auf jedes Gigabyte Speicherkapazität eines MP3-Players erhoben werden: Für Apples iPod bedeutet das eine Sonderabgabe von 75 Euro. Das Geld soll ohne weitere Gegenleistung direkt an die Musikindustrie überwiesen werden - unabhängig davon, ob das Gerät nur zum Abspielen Copyright-freier Musik verwendet wird, die es im Internet mittlerweile massenhaft gibt.


WIPO: World Intellectual Property Organisation. Der mittlerweile der UN unterstellten Organisation, deren Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurück reicht, gehören zur Zeit 178 Staaten an. Sie versteht sich als Wächterin über 26 Verträge, in denen die weltweite Zusammenarbeit in Copyright-Fragen festgehalten ist. Die beiden jüngsten Verträge beschäftigen sich vor allem mit dem Komplex Copyright und Internet.
Cybercrime-Konvention: Die im letzten Jahr vom Europarat verabschiedete Konvention muss jetzt in dessen 41 Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Sie stellt unter anderem das Umgehen technischer Kopierschutz-Maßnahmen unter Strafe.
EU-Copyright-Direktive: In dem Papier mit der Dokumenten-Nummer 2001/29/EG wird ebenfalls das Umgehen von Kopierschutz unter Strafe gestellt; außerdem wird ein rechtlicher Rahmen für so genanntes Digital Rights Management angestrebt. Im Sommer 2001 vom Rat verabschiedet; muss jetzt in nationales Recht umgesetzt werden.
EU-Direktive zum Gemeinschaftspatent: Vom EU-Parlament noch nicht verabschiedet; der Entwurf der Kommission nimmt erstmals Software nicht mehr ausdrücklich vom Patent-Regime aus. Ich habe Änderungsanträge eingebracht, um Software auch weiterhin patentfrei zu halten.
EU-Direktive zur Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen: kurz Software-Patent-Direktive. Soll die Details der Software-Patentierung regeln. Ebenfalls noch nicht verabschiedet.
Digital Millennium Copyright Act: Auch dieses US-Gesetz richtet sich unter anderem gegen das Knacken von Kopierschutz. Es ist für EuropäerInnen auch deswegen interessant, weil das Vergehen nicht in den USA begangen worden sein muss: Der russische Programmierer Dmitrij Sklyarov saß in den USA mehrere Monate in Untersuchungshaft, weil er ein Programm zur Umgehung des eBook-Kopierschutzes geschrieben hatte - was gegen den DMCA verstößt, aber in Russland nicht verboten ist.
SSSCA: Security Systems Standards and Certification Act: Dieser US-Gesetzentwurf geht noch einen Schritt weiter als der DMCA. Er verbietet den Verkauf von Computer-Ausrüstung, die nicht mit geeigneter Hardware das Abspielen, Kopieren und Weitergeben Copyright-geschützter Inhalte verhindert.

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